Auf der Suche nach Tony McKay
Auto schlafen, nachdem die letzte Nacht schon so erfolgreich war,’ sage ich zu Britta gewandt. Auch Heiko und Rosa gucken sie jetzt an.
‘Noch so eine Nacht wie die letzte halte ich nicht aus,’ stimmt Rosa mir zu, ‘außerdem sind wir zu viert, da wird schon nichts passieren.’
Heiko reicht Britta den Zettel mit Staszek und Piotreks Telefonnummer. Britta pustet sich eine Haarsträhne aus den Augen und schüttelt den Kopf.
‘Wahrscheinlich brauche ich dann aber auch was von dem Zeug, das wir Thomas Mustermann verabreicht haben,’ und wählt die Nummer.
Wie sich herausstellt, sind die beiden Polen professionelle Kücheninstallateure. Das Transportieren von Kaffeebohnen durch die EU ist wohl nur ein Nebenverdienst. Ich hatte etwas Sorge, dass die ihr Angebot einer freien Unterkunft nur aus einer Wodkalaune heraus gemacht haben, doch konnten selbst wir anderen drei die freudige Überraschung am anderen Ende der Leitung hören, wir wären ‘von ganze Herz willkommen’. Staszek und Piotrek arbeiten heute, sind aber gegen sechs wieder zu Hause. Britta notiert die Adresse und ein paar Angaben, wie wir dorthin kommen.
Asyl bei Staszek und Piotrek
Die Adresse zu finden erweist sich doch als schwieriger als zuerst angenommen. Zum ersten waren wir uns selbst nicht ganz sicher wo genau wir eigentlich waren, als Britta die beiden angerufen hat, selbst Rosa hatte die Orientierung verloren - irgendwo südlich der Themse - infolgedessen musste Piotrek die Wegbeschreibung vage halten.
Zum zweiten ist London ein Moloch von einer Stadt, die in alle Richtungen schier kein Ende zu nehmen scheint. Wie eine fraktale Version des Universums – London ist sozusagen ein Blumenkohlröschen am Blumenkohl der Welt. Und die einzelnen Stadtteile sind wieder kleinere, in sich perfekte Blumenkohle – oder heißt das Blumenkohlköpfe? Und wie im Universum, strebt alles in alle Richtungen mit Beschleunigung auseinander. Denn trotz seiner gigantischen Größe wuchert London weiter, wird irgendwann wie ein unbehandeltes Krebsgeschwür den Körper auf dem es wächst auslaugen, dieser wird im Vergleich zu seinem London-Geschwür mickerig und verkümmert erscheinen, benutzt, ausgenutzt, missbraucht. Und die Stadt wird triumphierend und verstrahlt auf dem misshandelten Land thronen, gleichgültig gegenüber dessen Geschundenheit, die sie ursächlich zu verantworten hat und weiter ihrer Philosophie der Notwendigkeit des unendlichen Konsums leben, wobei die Apologeten dieser Philosophie längst vergessen haben, dass sie und die ihren als Täter notwendig auch Opfer der Ausuferung sein werden, denn wir sitzen alle in demselben Boot.
London strebt also wie das Universum auseinander. Doch wissen wir jetzt, zumindest vorläufig, bis jemand mit einer besseren Theorie daher kommt, dass das Universum kein Zentrum hat, alles dehnt sich mit zunehmender Geschwindigkeit aus, doch nicht etwa von einem zentralen Punkt, was die Frage ergibt: es rennt weg von wo? Oder ist die Frage eigentlich: Es rennt weg wovor? Dieses Bild eröffnet nun ganz neue Perspektiven – vielleicht vor sich selber? Ich für meinen Teil zumindest kenne dieses Gefühl nur zu gut. Könnten wir diese Frage positiv beantworten, vielleicht würde uns die Antwort neue Einsichten nicht nur in die Natur, sondern möglicherweise auch in den Zweck des Universums ermöglichen und wir könnten alle endlich aufhören ‘Warum?’ zu fragen.
Staszeks Anweisung ‘Musst fahren über Zentrum und dann nach Osten,’ hilft uns nicht wirklich weiter, denn wie oben im Vergleich mit dem Weltall, hat London nicht wirklich ein Zentrum - was sollte das sein - Trafalgar Square? Tower Hill? Hyde Park? – und so bewegen wir uns also planlos über einen Mini-Blumenkohl nach dem anderen, und landen schließlich nach fünfmal Verfahren und einmal tanken, in West Ham. Verglichen damit sieht Pinneberg gut bürgerlich aus. Ehrlich. Und ich bin weiß Gott kein Fan von Pinneberg. Aber polnische Truckis in London sind auch nicht gerade die, die in mehrstöckigen, schicken Stadthäusern am Grosvenor Square leben. Außerdem haben wir nicht wirklich eine Alternative und ein Dach über dem Kopf ist momentan wichtiger als das Ambiente des Kiez in dem wir wohnen.
Wir finden schließlich die angegebene Adresse und siehe, da steht auch Piotreks alter Lkw an der Straße geparkt. Staszek sitzt auf einer niedrigen Mauer vor dem leicht verfallen aussehenden Reihenhaus. Er winkt freudig, als er uns um die Ecke
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