Auf die feine Art
hockten und soffen, dann an der Schule und der Kirche vorbei bis ans Meer. Vom Westring her leuchteten vereinzelte Autoscheinwerfer auf, ein schnaufender Igel trippelte über den Uferpfad. Bei seinem Anblick fiel mir ein, dass Einstein in Inkoo war und mir nicht um die Beine streichen würde, wenn ich nach Hause kam.
Nach Hause … Das Haus in Itäranta war ja gar nicht mein Zuhause. Ich hatte kaum eigene Sachen mitgebracht, meine Flohmarktmöbel hatten wir in Anttis Wohnung in Helsinki untergestellt, wo sich auch der größte Teil meiner Bücher befand. Ich fragte mich, wo ich mich nach dem Sommer niederlassen würde. Jedenfalls nicht in Anttis Wohnung, die war zu klein für uns beide.
Antti sah sich Musikvideos an, als ich ins Zimmer kam. Er hielt ein leeres Whiskyglas in der Hand, die Flasche stand auf dem Tisch. Er trank so gut wie nie an zwei Abenden hintereinander, aber jetzt hatte er meinen Rat gründlich befolgt. Als er mir das Gesicht zuwandte, sah ich, dass die Betäubung nicht ganz gewirkt hatte. Er hatte geweint.
»Das hat aber lange gedauert«, sagte er scheinbar ruhig.
»Ich bin zu Fuß gekommen, weil weit und breit kein Bus in Sicht war.«
»Zu Fuß? Typisch.«
Ich war mir nicht sicher, ob ich das als Kompliment oder als Kritik zu verstehen hatte.
»Wie geht’s Kimmo?« Antti trank einen Riesenschluck Whisky, als wollte er die Wirkung meiner Antwort abblocken.
»Er ist ziemlich durcheinander, hält aber unbeirrt an seiner ersten Aussage fest, obwohl sie ihn belastet.«
»Henttonen hat vor einer halben Stunde angerufen. Er war erst bis zur Landspitze von Porkkala gekommen, als er gemerkt hat, dass sein Kater immer schlimmer wird. Er liegt jetzt in Stora Träskö vor Anker und fährt morgen früh zurück«, erzählte Antti in aller Gemütsruhe, die Augen auf eine Rapperin geheftet, die in rotem Lederkleid über den Bildschirm wirbelte.
In der nächsten Sekunde hatte ich auch schon die Nummer von Ekis Bordtelefon gewählt. Die tiefe Stimme meines Chefs klang so entfernt, als säße er nicht in Porkkala, sondern viel weiter weg.
»Da hat sich der junge Hänninen aber was Schönes eingebrockt! Gut, dass du dich um ihn kümmerst. Was ist denn bloß in ihn gefahren, dass er die Armi umbringt?«
Ich fröstelte auf einmal.
»Wieso glaubst du, Kimmo hätte sie umgebracht? Hat Risto das gesagt?«
»Das sind zwar quasi deine Verwandten, aber die Hänninens sind so verdreht, dass ich Kimmo nicht ohne weiteres für unschuldig halten würde, obwohl der Mandant natürlich immer unschuldig ist, zumindest behaupten wir das gegenüber der Polizei«, dröhnte Eki wie aus einer tiefen Gruft. »Aber darüber können wir morgen noch reden. Wann fängt die Vernehmung an?«
»Um zehn. Meinst du, du schaffst es rechtzeitig?«
Eki ließ sich über die Windverhältnisse aus, ich hörte kaum noch zu. Ratlos legte ich den Hörer auf. War es naiv von mir, Kimmo zu glauben? Zum Teufel auch, hatte Pertsa doch Recht? Hatte ich mich von Anttis Meinung irreführen lassen?
Eigentlich kannte ich Kimmo kaum. Ich hatte ihn im Lauf des Winters gelegentlich bei den Hänninens getroffen, einmal waren wir mit ihm in der Kneipe. Armi sollte auch mitkommen, aber sie war verhindert – richtig, ihre Schwester war krank. Ging es damals vielleicht gerade um die Fehlgeburt?
»Antti, könntest du mir ein paar Dinge erklären?« Ich setzte mich neben ihn und berührte ihn ganz vorsichtig, darauf gefasst, dass er meine Hand abschüttelte.
»Was denn zum Beispiel?«, fragte er zögernd. Ich spürte, wie angespannt seine Rückenmuskeln waren.
»Also erstens Kimmo … Wusstest du von seinen S/M-Neigungen?«
»Wer geht schon mit seinen sexuellen Vorlieben hausieren! Einmal hab ich ihn an der Tür von diesem Hardcore-Sexshop in der Pursimiehenkatu getroffen, er sah echt verlegen aus, aber ich hab mir weiter nichts dabei gedacht.«
Und was hattest du da zu suchen, dachte ich, behielt die Frage aber für mich. Im Übrigen war ich auch schon mal in dem Laden gewesen, bloß so zum Spaß.
»Vielleicht ist das Kimmos Art, zuerst die Qual und dann den Tod zu suchen«, fuhr Antti etwas ruhiger fort. »So wie Ristos eingebildete Krankheiten und Sannas Obsession, sich die Haut aufzuritzen, betrunken zu fahren und Drogen zu nehmen. Sie hat’s ja zu guter Letzt geschafft.«
»Du glaubst also, dass es Selbstmord war?«
»Sanna hat ein aufgeschlagenes Buch auf ihrem Tisch liegen gelassen, Sylvia Plath’ ›Lady Lazarus‹. Das ist doch wohl
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