Auf die feine Art
nervös war. An Maritas Hals prangte ein großer blauer Fleck, der ganz frisch zu sein schien.
»Dann spreche ich am besten mit Hellström, wenn er so auskunftsfreudig ist. Ich muss Begründungen finden, um Kimmos Haftentlassung durchzusetzen.«
»Du glaubst also immer noch, dass Kimmo es nicht getan hat?« Zum ersten Mal seit meiner Ankunft machte Antti den Mund auf.
»Ja. Ich gebe zu, dass ich mich eher auf mein Gefühl als auf Fakten stütze, aber ich glaube nicht, dass er es war. Nur brauche ich Tatsachen, die ich Pertsa Ström vorlegen kann. Fangen wir mit euch an. Was wisst ihr von Armi? Was für ein Mensch war sie?«
Keiner der beiden schien bereit, mir zu antworten. Ich zählte in Gedanken auf, was ich bisher über Armi erfahren hatte: Sie war eine freundliche Plaudertasche, mischte sich gern in anderer Leute Angelegenheiten ein, war neugierig und resolut.
»Armi war geradezu ein Geschenk des Himmels für Kimmo, auch wenn Annamari von ihr weniger begeistert war«, sagte Marita schließlich. »Natürlich war Armi irgendwie … ordinär, aber in Annamaris Augen ist sowieso niemand gut genug für ihre Kinder. Das hat auch Make bitter zu spüren bekommen, und vor ihm ziemlich viele von Sannas Freunden.«
»Willst du andeuten, dass Annamari Armi umgebracht haben könnte?«
»Um Himmels willen, natürlich nicht! Es ist nur so: Armi hat immer gesagt, was sie dachte, und das ist in der Familie Hänninen nicht üblich. An Weihnachten hat sie gefragt, warum Henrik und Annamari sich nicht scheiden lassen, wo Henrik doch sowieso praktisch nie da ist. So was fragt man nicht, jedenfalls nicht bei Hänninens.«
Bisher hatte ich auch Marita für eine Art Hänninen gehalten, für eine verzweifelt die Kulissen aufrecht erhaltende, fehlerlose Mathematiklehrerin. Wie tröstlich, dass noch etwas anderes in ihr steckte! Es war anstrengend für mich gewesen, Anttis Familie kennen zu lernen, und ich hatte von Anfang an eine Abneigung gegen das ganze soziale Netz, in das wir durch den Umzug nach Itäranta gerieten, ein Netz, in dem ich mich jetzt mehr und mehr verstrickte.
Mein Magen gab ein seltsames Geräusch von sich. Da erst wurde mir bewusst, dass es schon fast sieben war und ich nach dem ausgekotzten Frühstück nur zwei Butterbrote zu mir genommen hatte.
»Könnte ich eine Kleinigkeit zu essen und einen Kaffee haben?«, bat ich. »Ich muss gleich wieder aufs Präsidium, und ohne funktioniert mein Gehirn nicht.«
Ich wollte einen Moment mit Antti allein sein, obwohl er offenbar nicht gerade in geselliger Stimmung war.
Er nahm mich mit in die Küche, wo das gestrige Chaos noch nicht spurlos beseitigt war. Die Spülmaschine stand offen, der Kühlschrank war mit den Resten vom Büffet gefüllt. Skrupellos vertilgte ich den Krabbensalat und den Rest der Sandwichtorte. Zum Kaffee genehmigte ich mir einen mit Sahne gefüllten Windbeutel, der schon nach Kühlschrank schmeckte.
Anttis Schweigsamkeit ärgerte mich. Na schön, er kannte Armi und Kimmo viel besser als ich, aber es ging hier nun wirklich nicht um seine persönliche Tragödie.
»Trink einen doppelten Kognak, das hilft«, schlug ich vor.
»Was bringt das schon? Es ist doch sinnlos, seine Gefühle zu betäuben. Musst du denn die ganze Zeit so verdammt professionell sein? Unterdrückst du damit deine Gefühle? Oder hast du gar keine?«
»Na klar doch, ich bin gefühllos! Morde sind Routine für mich, ich stolpere jeden Tag über ’ne Leiche! Verdammt nochmal, Antti, verstehst du denn nicht, dass ich mir jetzt nicht leisten kann, gefühlsselig zu sein? Ich brauch was anderes als Gefühle, wenn ich Kimmo aus seiner Zelle holen und Armis Mörder finden will.«
Wer weiß, wie unser Gespräch weitergegangen wäre, wenn Risto nicht in die Küche gekommen wäre.
»Marita sagt, ihr hättet Kaffee gekocht. Ich hab Annamari das letzte Oxepam gegeben, das wir im Haus hatten, das hat sie endlich ausgeknockt«, erklärte er und marschierte zielstrebig zur Kaffeemaschine.
»Sag mal, Risto, würde es dir etwas ausmachen, mich zum Präsidium zu fahren?«, erkundigte ich mich vorsichtig, wohl wissend, wie gern Risto Auto fuhr. Ich ging, ohne Antti zum Abschied auch nur zu berühren.
»Was sag ich bloß meinem Vater?«, fragte Risto, als wir in die Merituulentie einbogen.
»Wo ist er jetzt? In Ecuador? Müsst ihr ihm denn wirklich jetzt schon Bescheid sagen?«
»Annamari besteht darauf. Das haben sie wohl so ausgemacht, dass er über wichtige Dinge informiert wird.
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