Auf die feine Art
zuerst das übrige Material anzusehen. Gerade als ich alles sortiert hatte und mich Sannas Ordner aus der Kanzlei widmen wollte, klingelte das Telefon. Das musste Antti sein, der mir noch einmal erklären wollte, wo wir uns morgen in Inkoo treffen würden.
»Bei Sarkela, Maria Kallio.«
Stille. Dann schallte eine seltsam körperlose, heisere Stimme aus dem Hörer: »Misch dich nicht in Dinge ein, die dich nichts angehen. Sonst bist du als Nächste dran …« Dann wurde aufgelegt.
Mein Polizisteninstinkt ließ mich diesmal im Stich, denn mir fiel zu spät ein, dass es eventuell möglich gewesen wäre, den Anrufer zu ermitteln. Ärgerlich kehrte ich ins Wohnzimmer zurück. Irgendwer versuchte mir Angst einzujagen. Folglich hatte an meinem Fahrrad nicht irgendein übermütiger Bengel herumgepfuscht, sondern jemand, der schon zwei Menschen getötet hatte.
Natürlich war ich auch früher schon bedroht worden, sogar in Lebensgefahr geraten. Aber die Bedrohung war nie gesichtlos gewesen, ich hatte immer gewusst, mit wem ich es zu tun hatte.
Im Bootshafen von Otsolahti legte ein Motorboot an, auf den Uferfelsen glitzerten Regentropfen. Das große Wohnzimmerfenster mit dem schönen Ausblick wirkte plötzlich bedrohlich. Wie leicht konnte hier jemand eindringen …
Ich riss mich zusammen. So leicht ließ ich mich nicht überraschen, das hatte schon Sebastian feststellen müssen. Wenn der Mörder sich einbildete, er könnte mich so einfach um die Ecke bringen wie Sanna und Armi, war er auf dem Holzweg. Ich schlug den Ordner auf und vertiefte mich in Sannas Leben.
Die Hänninens hatten die Kanzlei des Öfteren in Anspruch genommen, Eki hatte allerhand zu tun gehabt, um Sanna vor einer Haftstrafe zu bewahren. Zwei Anklagen wegen Trunkenheit am Steuer, beide Male knapp unter der Grenze zur schweren Trunkenheit, eine Anklage wegen Besitz von Haschisch, eine ganze Reihe Festnahmen wegen Betrunkenheit.
Die erste Festnahme war im Zuge einer Razzia erfolgt, als Sanna im dritten Semester studierte. In Henrik Hänninens Wagen hatte eine ganze Schar angetrunkener junger Leute gesessen, unter ihnen Sanna, die behauptete, sie hätte nur ein Bier getrunken.
»Guter Auftritt vor Gericht. Hübsch gekleidet, spielte das unschuldige Mädchen aus gutem Hause«, stand in Ekis Notizen. Ich stellte mir Sanna auf der Anklagebank vor, adrett zurechtgemacht, die großen braunen Augen ängstlich aufgerissen, die Stimme noch kindlicher als sonst. Es war ein leichter Fall gewesen.
Vor dem nächsten Verkehrsdelikt war Sanna einige Male in der Ausnüchterungszelle gelandet. Einmal wurde sie nach einer tätlichen Auseinandersetzung mit ihrem damaligen Freund festgenommen, den sie mit einem Taschenmesser bedroht hatte. Als sie dann mit eins Komma vier Promille den Wagen ihres Vaters gegen einen Laternenpfahl setzte, war es schon schwieriger, einen Freispruch zu erwirken. Eki hatte argumentiert, Sanna habe es nicht verkraften können, dass ihr Freund sie verlassen hatte, und leide zudem unter Prüfungsstress. Dass sie sich bei dem Unfall das Bein gebrochen habe, sei Strafe genug. Wieder war Sanna mit einer Geldstrafe und Führerscheinentzug davongekommen.
»Tut alles, um ihre Haut zu retten. Weiß hervorragend die Unschuldige zu spielen. Kriminelle Veranlagung?« hatte Eki an den Rand der Akte geschrieben. Allmählich verstand ich, weshalb er Kimmos Unschuldsbeteuerungen skeptisch gegenüberstand.
Die Anklage wegen Besitz von Haschisch hing mit Otso Hakalas Festnahme zusammen. Eki hatte es fertig gebracht, die Richter davon zu überzeugen, dass Sanna ihrem Freund hörig war. Die Anklage wegen Beteiligung am Rauschgifthandel wurde aus Mangel an Beweisen fallen gelassen, aber wegen Drogenbesitz erhielt Sanna immerhin eine Haftstrafe von drei Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Zu diesem Fall fand ich keine Notizen. Standen sie auf den Blättern, die Eki entfernt hatte? Warum hatte er das getan? Ob Mara oder Albert sich erinnerten, was alles in dem Ordner abgeheftet worden war? Ich blätterte gerade das Verhandlungsprotokoll und Sannas Aussagen durch, als das Telefon wieder klingelte.
Falls es wieder ein Drohanruf war, würde ich die Verbindung nicht unterbrechen.
»Hallo, hier ist Engel. Na, wie war der Mittwochmorgen? Ging’s dir schlecht?«
»Ein bisschen.« Ich wusste nicht, ob ich mich über ihren Anruf freuen sollte.
»Du, mir ist noch eingefallen, dass wir in unserem Rundschreiben gelegentlich Zeichnungen von Kimmo gebracht
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