Auf die feine Art
Randbemerkungen steckte ich ein. Neben den Büchern stand ein Totenkopf.
»Woher stammt der?«, fragte ich Annamari, die gekrümmt an der Tür stand.
»Den hat Sanna irgendwo gekauft, sie hatte ihn immer auf ihrem Tisch stehen. Kimmo wollte ihn unbedingt behalten. Iiih, das Ding ekelt mich an, schaff es weg!«
Da sie darauf bestand, stopfte ich den Totenkopf in meinen Rucksack. Am liebsten hätte ich Kimmos Zimmer gründlich aufgeräumt, aber in Annamaris Beisein konnte ich mir das nicht erlauben.
Ich versprach, die Papiere zurückzubringen, doch sie winkte ab: »Nicht nötig, verbrenn sie einfach. Wir wollen sie nicht. Was sollen wir denn damit! Sanna war doch so begabt, warum konnte sie nicht studieren und Examen machen wie alle anderen? Warum musste sie trinken und all diese schlimmen Dinge tun und mit solch entsetzlichen Kerlen zusammen sein? Manchmal war sie mir richtig fremd, und einmal hab ich sogar zu Henrik gesagt, wer weiß, ob sie nicht in der Klinik vertauscht worden ist … Obwohl sie Henrik ja wie aus dem Gesicht geschnitten war.«
»Wird Henrik denn jetzt nach Hause kommen?«
Annamari fing wieder an zu zittern. »Nächste Woche vielleicht. Henrik hat am Telefon so schrecklich gebrüllt … Alles wäre meine Schuld, ich hätte die Kinder nicht richtig erzogen … Aber vielleicht schafft er es, Kimmo aus dem Gefängnis zu holen.«
Annamari schien sich vor ihrem Mann zu fürchten. Ich musste an Mallus Verdacht denken, Henrik Hänninen hätte etwas mit Sannas Tod zu tun. Der Mann interessierte mich mehr und mehr, es war, als werfe er einen bedrohlichen Schatten über seine Familie.
Schwer beladen radelte ich nach Toppelund zu Herrn Herman Lindgren, um meine Monatskarte abzuholen. Er wohnte ganz in der Nähe der Mole. Als ich klingelte, fing drinnen ein Hund an, zu bellen oder vielmehr Geräusche von sich zu geben, wie sie eine zu locker bespannte Basstrommel erzeugt. Es dauerte lange, bis jemand öffnete.
Der Mann, der vor mir stand, sah aus, als wäre er im 19. Jahrhundert geboren, und der ergraute Labrador an seiner Seite hätte in ein Altersheim für Hunde gehört. Dennoch schnüffelte er neugierig an meinen Hosenbeinen, er roch Einstein und Hellströms Leihhund. Der alte Mann hielt mir meine Monatskarte hin, nachdem er lächelnd mein Gesicht gemustert und mit dem Foto auf der Stammkarte verglichen hatte.
»Ganz genau dasselbe Mädchen.«
»Sie haben sich solche Mühe gemacht, mich aufzuspüren! Im Telefonbuch steht ja noch meine alte Nummer.«
»Bei der Auskunft hat man mir die neue Nummer gegeben. Das war eine Kleinigkeit, ich habe ja Zeit genug, hübschen Mädchen nachzuforschen. Die Karte habe ich unten am Ufer gefunden, sie wäre wohl beinahe ins Meer gefallen«, erklärte der alte Herr mit fragendem Unterton. Ich hatte das Gefühl, ihm eine Erklärung schuldig zu sein.
»Ich bin am Montagabend etwas zu schnell gefahren und mit meinem Rad von der Fußgängerbrücke ins Meer gestürzt. Dabei muss mir die Karte aus der Tasche gerutscht sein.«
»Soso. Na, zum Glück sind Sie glimpflich davongekommen und nicht ertrunken, wie das andere Mädchen.«
»Welches Mädchen?« Mein Herzschlag beschleunigte sich.
»Das Mädchen, das im vorigen Winter gerade dort an der Mole ertrunken ist. Ich erinnere mich gut daran, es war am 2. März. An dem Abend ist meine Frau gestorben. Es war ein regnerischer Abend, grau wie im Herbst, kein Schnee mehr und kein Eis auf dem Meer. Ich habe meinen Karlsson ausgeführt, gegen sieben war das, und er ist am Ufer stehen geblieben und hat irgendetwas beschnüffelt. Ich ging nachsehen, was er treibt, und da lag ein blonder junger Mann am Strand. Ich war ganz erschrocken, dachte, er wäre vielleicht krank oder gar tot, aber er schnarchte und stank derart, dass ich wusste, er ist betrunken. Einfach liegen lassen wollte ich ihn natürlich nicht, es war ja kalt, aber ich alter Mann hätte allein nichts ausrichten können. An der Mole waren zwei Personen, denen habe ich zugerufen, hier liegt ein Betrunkener, helfen Sie mir.
Die eine, es war eine Frau, kam gleich angelaufen und hat gerufen, das wäre ihr Freund und sie würde sich um ihn kümmern, ich könnte ruhig gehen. Als ich dann nach Hause kam, lag meine Frau in der Küche auf dem Boden. Herzversagen, hat der Arzt gesagt, sie hat nicht zu leiden brauchen. Aber dass sie so ganz allein sterben musste …«
Der Hund jaulte, als wollte er seinem Herrchen zustimmen. Der alte Mann beugte sich zu ihm hinab und
Weitere Kostenlose Bücher