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Auf die feine Art

Auf die feine Art

Titel: Auf die feine Art Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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streichelte ihn.
    »Ich musste dann eine Weile ins Krankenhaus, mein Herz wollte auch nicht mehr, und danach habe ich einen Monat bei meinem Sohn gewohnt. Erst später habe ich von den Nachbarn gehört, dass am gleichen Abend ein Mädchen ertrunken ist. Selbstmord, hieß es. Es war dasselbe Mädchen, das ich an der Mole gesehen hatte.«
    »Ich habe sie gekannt«, unterbrach ich ihn, nicht länger fähig, meine Ungeduld zu zügeln. »Ich wusste gar nicht, dass außer dem Betrunkenen noch jemand bei ihr war. Was war das für ein Mensch? Wie sah er aus? War es ein Mann oder eine Frau?«
    Herr Lindgren schüttelte bedauernd den Kopf.
    »Ach, wissen Sie, das ist so lange her, und bei dem Nebel konnte ich nicht viel erkennen. Einen Regenschirm hatte die Gestalt, und einen langen schwarzen Mantel. Ob Mann oder Frau, das kann ich nicht sagen, heutzutage sind ja auch die Frauen so groß.«
    Plötzlich sah mir der alte Mann scharf in die Augen, als suche er dort etwas Kleines, Wertvolles, und sagte eindringlich:
    »Im Übrigen war das kein Mensch. Da bin ich mir sicher. Es war der Tod. Er hatte meine Frau geholt, und nun wollte er das Mädchen holen. Dummes Geschwätz eines alten Mannes, mögen Sie jetzt denken. Ich bin dreimal so alt wie Sie, aber senil bin ich noch nicht. Da war jemand an der Mole bei dem Mädchen.«
    »Ich glaube Ihnen ja«, beruhigte ich ihn. »Der Polizei haben Sie davon aber nichts gesagt?«
    »Das schien mir sinnlos, es war ja schon Ende April. Die Nachbarn sagten, der Fall sei abgeschlossen, das Mädchen habe sich das Leben genommen. Hat sie nicht auch einen Abschiedsbrief hinterlassen?«
    »Wären Sie bereit, doch noch eine Aussage zu machen, falls es nötig ist? Inzwischen deutet einiges darauf hin, dass es doch kein Selbstmord war. Womöglich werden Sie noch Kronzeuge …«
    »Das klingt ja wie in diesen merkwürdigen amerikanischen Fernsehserien. Kronzeuge … Na, Zeit habe ich mehr als genug, nicht wahr, Karlsson?« Der alte Mann streichelte seinen Hund. Er war geistig völlig klar, so viel stand fest.
    Ich konnte Herrn Lindgren gar nicht genug danken und nahm mir vor, ihm am nächsten Morgen einen Blumenstrauß zu schicken. Er hatte Recht, davon war ich überzeugt: Die Gestalt, die er an der Mole gesehen hatte, war der Tod gewesen. Freilich kein imaginärer Sensenmann, sondern Sannas und Armis Mörder.

Zehn
Lady Lazarus
    Am Freitagabend saß ich im Wohnzimmer der Sarkelas gemütlich im Sessel und blätterte in Sannas unvollendeter Magisterarbeit über Sylvia Plath. Das Manuskript war über und über mit Randbemerkungen versehen, die sich aber allesamt auf das Thema bezogen. Der Arbeitstitel der Untersuchung lautete »Körpersprache und Metaphern der Selbstzerstörung im Werk Sylvia Plath’«. Sanna hatte wahrlich ein Thema gewählt, das zu ihr passte.
    Mit geradezu trotzigem Eifer vertiefte ich mich in Sannas Unterlagen, nachdem ich mich untertags mit Eki über meine Ermittlungstätigkeit gestritten hatte. Er hatte mir vorgeworfen, meine Zeit zu vergeuden.
    »In unserem Beruf muss man abschätzen können, was sich lohnt und was nicht. Wir haben die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass der junge Hänninen möglichst glimpflich davonkommt, wenn wir schon keinen Freispruch erreichen können. Im kläglichen Leben seiner Schwester herumzuschnüffeln bringt überhaupt nichts!«
    Meinen Einwand, ich sei anderer Meinung, hatte Eki mit der Bemerkung quittiert, ich sähe den Fall aus der falschen Perspektive. Trotzdem bestand ich darauf, Sannas Akte über das Wochenende mit nach Hause zu nehmen. Vermutlich würde Eki meinen Arbeitsvertrag nach der dreimonatigen Probezeit nicht verlängern, weil er meiner Urteilsfähigkeit nicht traute. Andererseits – wenn er mir nicht traute, wollte ich ohnehin nicht länger in seiner Kanzlei arbeiten. Ich hatte mein Referendariat auf unbestimmte Zeit verschoben, weil in Helsinki und Umgebung einfach keine Stellen frei waren und ich keine Lust verspürte, in irgendein Kuhdorf zu gehen. Dass Antti einer der Hauptgründe für meine mangelnde Mobilität war, mochte ich mir nicht eingestehen. Nach dem ersten Rausch der Verliebtheit war unsere Beziehung in ein neues Stadium eingetreten: Wir erprobten tastend das Zusammenleben und fragten uns von einer Woche zur anderen, ob das wirklich gut gehen konnte. Zwar fühlten wir uns bisher trotz aller Skepsis miteinander wohl, doch ich hasste meine Abhängigkeit.
    Ich beschloss, die Magisterarbeit vorläufig beiseite zu legen und mir

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