Auf die Freundschaft!
unterrichtet, oder? Ich bin ihm voll ausgeliefert! Echt mal, der Typ ist nicht gerade einer der beliebtesten Lehrer.“
„Dr. W.?“
„So nennt ihn jeder.“
„Gib ihm eine Chance. Ab nächstem Jahr wird er nicht mehr unterrichten, sondern sich ganz der Leitung der Schule widmen. So lange hältst du es sicher noch aus.“
In dieser Sekunde klingelte das Telefon.
„Mike, bitte versprich mir, dass du niemandem etwas erzählst“, flehte ich und Mike versprach es.
***
Es war ein wirklich schöner Dienstagabend.
Lutz empfing mich leger: Er trug keine Krawatte. Aus der Küche duftete irgendwas mit Lachs, auf dem gedeckten Esszimmertisch standen zwei gefüllte Weingläser. Wir unterhielten uns über den Tag, setzten uns und stießen auf den Abend an.
„Es gibt die Spezialität des Hauses: Zum Anfang Carpaccio aus Lachsfilet auf Rucolasalat und anschließend Rindersteak. Ich hoffe, du bist keine Vegetarierin.“
„Im Gegenteil“, lachte ich. Ich gehörte zu den Frauen, die gerne Fleisch aßen und immer Appetit hatten. Leider sah man das meiner Figur immer mehr an.
Wir aßen am ausladenden Esszimmertisch. Lutz konnte wirklich gut kochen, im Gegensatz zu mir. Der Lachs schmolz förmlich auf meiner Zunge dahin, sobald ich ihn in meinen Mund befördert hatte. Ich fragte mich, wo er so gut kochen gelernt hatte. Ein Weinkenner war er sicherlich, es überraschte mich also nicht, dass ich hier den besten Wein meines Lebens trinken konnte. Ich lauschte Tschaikowsky im Hintergrund und hing meinen Gedanken nach, als Lutz das Gespräch eröffnete.
„Schön, dass du doch Zeit gefunden hast, heute den Abend mit mir zu verbringen“, sagte er und trank einen Schluck Burgunder.
„Mike ist mit Melanie Stein im Kino, es war ihm also ganz recht“, plauderte ich.
„Ich war schon seit Jahren nicht mehr im Kino. Es gibt nie Filme, die mich interessieren“, gestand Lutz und ich stimmte ihm zu.
„Ich war auch schon lange nicht mehr. Ich lese lieber.“
„Das geht mir auch so. Kennst du Atemschaukel von Herta Müller? Das lese ich gerade. Sie hat den Literaturnobelpreis erhalten.“
„Nein, kenne ich nicht.“ Ich las eher Bücher, die mich unterhielten und seichtere Lektüre waren.
„Warte, ich hole es. Mach es dir doch auf der Couch gemütlich.“
Lutz ging aus dem Wohnzimmer und ich setzte mich mit meinem Burgunderglas auf die Couch und zog die Beine an. Es dauerte nur drei Atemzüge, bis er wieder da war.
„Warte kurz.“
Lutz ging zu seiner Stereoanlage und drückte einen Knopf. Leise drang klassische Musik aus den Boxen. Er kam auf mich zu und setzte sich an das andere Ende der Couch.
Dann begann er zu lesen.
Ich weiß nicht mehr, wie lange wir einfach dort auf der Couch saßen und ich ihm beim Lesen zuhörte. Lutz war wirklich ein grandioser Vorleser, der jeder Figur eine eigene Stimme geben konnte und den puren Text in ein Erlebnis verwandelte. Mitten im dritten Kapitel klingelte das Telefon.
„Entschuldige mich bitte“, sagte Lutz, legte das Buch zur Seite und erhob sich. Er blickte auf das Display des Telefons, runzelte die Stirn und nahm ab.
„Ja?“ Ich konnte die Stimme am anderen Ende der Leitung nicht verstehen, aber es klang nach einer weiblichen Stimme.
„Ach, nichts“, sagte Lutz und verließ das Zimmer im gleichen Moment. Jetzt bekam ich von dem Gespräch nichts mehr mit.
Ich schnappte mir das Buch und las ein bisschen weiter. Nach zehn Minuten kam Lutz wieder und setzte sich neben mich.
„Meine Mutter“, sagte er erklärend. „Sie ist in diesem Heim einfach nicht glücklich und ruft jeden Tag an.“
„Seit wann ist sie denn im Heim?“, fragte ich. Meine Eltern waren beide schon vor vielen Jahren bei einem Autounfall gestorben.
„Schon fast drei Jahre. Sie ist ja nicht alleine dort, mein Vater ist auch im Heim. Ich besuche die beiden ja regelmäßig und fahre jedes Wochenende hin, aber sie vermissen mich dennoch.“
„Kannst du denn nicht unter der Woche mal hinfahren?“
„Nein, dafür ist Braunschweig ein bisschen weit weg. Ich fahre freitags hin und komme sonntags zurück, das ist schon in Ordnung. Unter der Woche ist mein Bruder oft bei ihnen. Aber nun lass uns nicht von meinen Eltern sprechen.“ Lutz nahm mir das Buch aus der Hand, aber statt wieder daraus vorzulesen, schloss er es und legte es auf den Couchtisch.
„Komm her.“
Ich krabbelte zu ihm herüber und kuschelte mich in seinen Arm. Ich atmete seinen Geruch ein, der so anders war als der von
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