Auf die Ohren
la! Ich kann überhaupt nichts hören! La, la, la!«
Clarissa lacht und versucht, mir die Hände von den Ohren wegzuziehen, schafft es aber nicht. Sie greift zu unfairen Mitteln und kitzelt mich unter den Armen. Ich kitzle zurück und verschließe ihren Mund mit meinen Lippen. Sie beißt mich, wir rangeln ein bisschen miteinander, bis aus der Rangelei etwas anderes, wesentlich Leidenschaftlicheres wird.
Zwanzig Minuten später liegen wir splitternackt und erschöpft keuchend nebeneinander auf dem Rücken, zwischen uns ein Knäuel, das einmal ein ordentlich aufgezogenes Bettlaken war. Und ja, wir haben soeben tatsächlich Geschichte geschrieben – zumindest, wenn es nach mir geht. Das war fantastisch, sensationell, unbeschreiblich gut, über alle Maßen erregend und im Abschluss nie da gewesen befriedigend. Nicht, dass es sonst weniger gut oder befriedigend wäre, es ist immer großartig mit Clarissa. Obwohl, nein, das stimmt nicht ganz, einmal war es nicht unbedingt berauschend, beim allerersten Mal. Was daran lag, dass es vor allem mein allererstes Mal war und Clarissas eben nicht. Schließlich war sie vor mir mit Vinnie zusammen gewesen. Und wenn bei Vinnie irgendeine länger als vierundzwanzig Stunden auf ihrer Jungfräulichkeit beharrte, stellte er sie vor die Wahl, sich entweder sofort von eben jener oder von ihm zu verabschieden, das war eines seiner ungeschriebenen Gesetze. Und mir würde keine einfallen, die sich nicht daran gehalten hätte.
Wobei Clarissa schon vor Vinnie ziemlich lang einen Freund hatte, was mich hoffen lässt, dass Vinnie nicht ihr Erster gewesen ist. Ich habe mich bis heute nicht getraut, sie das zu fragen.
Aber egal, ob ich bei Clarissa nun Nummer zwei oder drei gewesen bin – in Sachen sexuelle Erfahrungen lag sie weit vorne. Alles, was ich diesbezüglich aufzuweisen hatte, war eine unkontrollierte Fummelei mit einem französischen Urlaubsflirt in der dunkelsten Ecke einer spanischen Disco, mit fünfzehn. Wie ich später erfuhr, hatte mich dieses Mädchen beim Knobeln gewonnen, das heißt, eigentlich hatte sie verloren, gegen ihre Freundin, die sich als Siegerin mit Vinnie vergnügen durfte. Aber selbst, wenn ich das vorher gewusst hätte, wäre ich nicht beleidigt gewesen, denn ich fand meine Französin viel hübscher als ihre Freundin. Und wie sich herausstellte, war meine auch wesentlich lockerer. Während Vinnies Eroberung nämlich plötzlich Gewissensbisse wegen ihres Freundes zu Hause in Marseille bekam und einen Rückzieher machte, fummelte mir meine innerhalb einer Minute buchstäblich das Hirn in die Hose. Mein erster richtiger Zungenkuss. Die ersten Brüste, die ich anfassen durfte. Die erste weibliche Hand zwischen meinen Beinen. Und wenig später mein erster vorzeitiger und in die Hose gehender Samenerguss. Auf meiner nach oben offenen Peinlichkeitsskala immer noch die absolute Nummer eins.
Damit war der Abend natürlich gelaufen und er endete mit einer panischen Flucht auf die Toilette, die ich erst eine halbe Stunde nach Ladenschluss wieder verließ, nachdem eine auf Spanisch schimpfende Putzfrau mit ihrem Wischmopp vor meinem Gesicht herumgewedelt hatte.
Tja, und mit diesem glorreichen sexuellen Erfahrungsschatz ging ich dann entsprechend unlocker und panisch mein erstes Mal an. Natürlich, Clarissa und ich waren uns vor dem großen Akt körperlich schon sehr nah gekommen. Trotzdem, dieser letzte Schritt in ein entjungfertes Leben war dann doch noch mal etwas anderes, eine komplett andere Liga, und bot ungeahnte Möglichkeiten, um sich gründlich zu blamieren. Die Horrorszenarien in meinem Kopf jedenfalls gestalteten sich vielfältig: Was, wenn ich währenddessen seltsame Geräusche von mir gebe? Grunzen, Röcheln, Quieken, irgendwas Abartiges, was man nicht kontrollieren kann? Oder was, wenn ich den Eingang nicht finde? Okay, wahrscheinlich würde sie mir dann helfen. Oder vor Lachen vom Bett kippen, wer weiß das schon? Was, wenn ich zu früh fertig bin? Oder wenn es zu lang dauert? Klopft sie mir dann gelangweilt gähnend auf die Schulter und sagt Bescheid? Genau, was, wenn sie dabei einfach einschläft? Dann muss ich entweder vor Peinlichkeit sterben oder den Rest meines Lebens in einer Toilette verbringen.
Ich wollte, dass es perfekt wird. Es musste perfekt werden. Für sie, nicht für mich. Wie es für mich sein würde, war mir relativ egal, ich konnte dabei ruhig draufgehen, das juckte mich nicht. Aber für sie, für sie sollte es perfekt werden, besser
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