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Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)

Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)

Titel: Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Benecke
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sind für sie jedoch nichts anderes als Spielzeug, das ihnen gibt, was sie wollen. In der Öffentlichkeit sind besonders die Fälle von Natascha Kampusch und Josef Fritzl bekannt geworden. Obwohl Tinas Mutter an diese »Vorbilder« nicht entfernt heranreicht, ist ihre grundsätzliche Haltung anderen Menschen, vor allem ihren Kindern gegenüber, der Haltung der Täterin in den genannten Fällen ganz ähnlich: Sie befriedigt mit ihnen nur ihre eigenen Wünsche, ohne jegliche Rücksicht und ohne die geringsten Schuldgefühle.
    Tina schildert sehr eindrücklich, wie sie ihre Mutter inzwischen sieht. Der liebevolle Anschein, den sich die Mutter nach außen gegeben hat, überdeckte nur schlecht, wie gleichgültig und grausam sie ihren Kindern gegenüber bis heute ist. Auch Tina hat das inzwischen durchschaut: »Selbst wenn man sich immer hinter einer Maske versteckt, wie unsere Mutter es tat, so erkennt man doch irgendwann das wahre Gesicht einer Person. Niemand kann sich ein ganzes Leben lang verstellen.«
    Während die Mutter im Gefängnis saß, schrieb Tina ihr einen sehr bewegenden Brief. Hier einige Auszüge:
    »Du machst dir gar keine Vorstellung davon, was du den Kleinen und dem Rest deiner Kinder antust. Du hast gesagt, du hättest eigentlich in die Klapse gehen müssen, um all das zu verarbeiten, was deine Kinder dir angetan haben. Ich habe lange darüber nachgedacht und ich glaube, dass es das Beste gewesen wäre, wenn du das getan hättest. Nicht nur Sarah machte früher den Anschein, als ob sie zwei Gesichter hätte, sondern auch DU. Manchmal kannst du so nett und lieb sein und sagst, du liebst deine Kinder über alles. Dann gibt es das böse Gesicht, das Dinge sagt wie: ›Wenn du nicht machst, was ich will, darfst du die Kleinen nicht mehr sehen.‹ Weißt du, wie oft ich alleine in dieser Situation war? Weißt du, wie oft ich darüber traurig war?
    Dass du mich damit verletzt, ist die eine Sache. Aber die Kinder, Tim und Linda, die beiden leiden noch viel mehr. Die beiden lieben ihre Familie. Wie kannst du als Mutter behaupten, dass du sie liebst und nur das Beste willst? Sag mir wie! Wenn du ihnen gleichzeitig Messer in den Rücken rammst. Ich verstehe es nicht.
    Ich denke, du solltest einmal in den sauren Apfel beißen und deine Strafe absitzen. Du hast die Scheiße gebaut, kein anderer. Aber alle anderen müssen es mit ausbaden, und du merkst es noch nicht mal. ›Meine Kinder können auch mal was für mich tun‹, waren doch deine Worte, oder??? Was hast du eigentlich für deine Kinder getan??? (…) Dass unsere Kindheit Scheiße war, das weißt du. (…) Kind sein, wann durften wir das? Tja, das blieb auf der Strecke. Jeder von uns hat eine Macke dank deiner Erziehung oder eben Nicht-Erziehung. Eigentlich müsste jeder von uns eine Therapie machen, um das alles zu verarbeiten. Du auch (…) Deine Kinder haben nie viel verlangt, sie wollten nur eine Mama. (…) Wir hatten keine Wahl, uns hat niemand gefragt, ob wir geboren werden wollten, wir mussten mitziehen. Wir hatten keine Wahl. Du hattest eine. Ja, die hattest du. (…) Jetzt zeigt dir der Staat, dass man nicht alles machen kann. (…) Das hätte alles nicht sein müssen.«
    Psychopathische Menschen haben sehr unterschiedliche Gesichter, wie Sie an den bisherigen Beispielen gesehen haben. Die Trennlinie zwischen mittelmäßig psychopathischen Menschen, wie meinen Interviewpartnern vom Anfang, kriminellen Psychopathen, die den Menschen in ihrem Umfeld verheerenden Schaden zufügen, und psychopathischen Mördern, zu denen ich im nächsten Kapitel komme, ist fließend.
    Vielleicht verstehen Sie langsam, warum ich nicht an eine klare Trennlinie zwischen »Gut« und »Böse« glaube. Wo genau soll das »Böse« anfangen, wenn man sich all diese Beispiele von psychopathischen Menschen ansieht? Wie dünn ist das Eis unter Ihren eigenen Füßen oder denen von Menschen, die Sie selbst gut kennen – nun, wo Sie wissen, was psychopathische Menschen ausmacht?

KAPITEL 9
TÖDLICHE PSYCHOPATHEN ODER:
GIBT ES DEN PERFEKTEN MORD?
    Homo homini lupus.
    Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf.

    (Thomas Hobbes nach Titus Maccius Plautus)

Die meisten Menschen denken bei dem Wort »Psychopath« als erstes an Serienmörder. Einige denken an Filmgestalten wie Norman Bates aus Alfred Hitchcocks »Psycho« oder Hannibal Lecter aus »Das Schweigen der Lämmer«. Andere denken an »berühmte« echte Serienmörder wie Ted Bundy oder Jeffrey Dahmer. Doch die meisten

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