Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)
Sozialtherapeutischen Anstalt:
»Du darfst im Knastalltag keine Schwäche zeigen. Zeigst du Schwäche, bist du sofort das Opfer. Das macht alles noch sehr viel schlimmer. Das willst du auf keinen Fall. Ich hab mich jeden Tag zusammengerissen und auf cool gemacht.
Dass ich Anna tatsächlich getötet hatte, mich nicht mal wirklich daran erinnern konnte – ich hab es nicht begriffen. Wie konnte ich das tun? Mein Leben lag total in Trümmern, alles war ein einziger Albtraum. Ich konnte nicht glauben, dass das alles Wirklichkeit ist.
An all das durfte ich einfach nicht denken, während ich mit den anderen Gefangenen zusammen war. Nachts, alleine in meiner Zelle, kamen dann alle Gedanken auf einmal. Dann habe ich geweint. Stundenlang. Morgens musste ich wieder hart sein und das alles wegdrücken.«
Was dieser Mann erzählt, ist kein Einzelfall. Sie sollen kein Mitleid mit ihm haben. Sie sollen verstehen, dass Knast kein Ferienlager ist und Straftätertherapie kein weichgespültes Kaffeekränzchen.
Vielleicht können Sie sich vorstellen, wie extrem ungern schon jeder »normale« Mann vor einer Gruppe anderer Männer über die dunkelsten Facetten seines Lebens und seiner Person sprechen würde. Die vielen Täter, die ihre Therapie bis zum Ende durchhalten, müssen dies immer wieder tun. Und egal wie viele Sitzungen sie schon hinter sich haben – sie werden nicht angenehmer.
Stellen Sie sich einen schweren Straftäter vor, der während einer Gruppentherapie so wütend auf sich wird, dass er sich selbst verzweifelt anschreit. Stellen Sie sich einen harten Kerl vor, der vor den anderen Teilnehmern wie ein kleines Kind weint, weil er die Vergangenheit nicht ändern kann. Stellen Sie sich einen coolen Typ vor, der sich wegen seiner Schwächen so sehr schämt, dass er heftig zu schwitzen beginnt, während sein Herz rast und er kaum weitersprechen kann. Nicht jede Sitzung sieht so aus. Doch wenn ein Straftäter seine Therapie wirklich komplett durchzieht, kommt er früher oder später an Punkte, wo er nicht mehr vor sich selbst wegrennen kann. Ich habe viele sehr unterschiedliche Männer im Knast diesen Weg gehen sehen.
Der neue Weg
Er sagte mir, dass ich eine Seele habe.
Woher weiß er das?
Welche Haltung kommt da, um mein Leben zu verändern?
Gibt es einen anderen Weg für mich zu gehen?
(Jean Valjean in »Les Miserables«
– nach dem Roman von Victor Hugo)
Jene, die diesen Weg gehen, tun es nicht, um früher entlassen zu werden. Manche verzichten sogar auf die Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung, weil sie ihre Therapie wirklich ganz zu Ende machen wollen. Manche zeigen sich während der Therapie selbst an für Taten, die nie ans Licht gekommen wären. Das tun sie, weil sie lernen, dass die Therapie ihnen nur nützen wird, wenn sie alles aufarbeiten und für ihre Schuld geradestehen.
Täter, die ihre Therapie bis zum Ende nutzen, egal wie anstrengend und unangenehm es dabei immer wieder für sie wird, entwickeln folgende Einstellung:
»Wenn ich diese Therapie nicht ernsthaft mache, könnte ich draußen vielleicht wieder jemandem schaden. Dann würde ich früher oder später den Rest meines Lebens im Knast verbringen. Hätte ich mich und mein Leben im Griff gehabt, dann hätte ich so was nie getan und wäre nicht hier gelandet.
Das hier ist meine einzige Chance, mich der ganzen Scheiße in mir zu stellen. Zu kapieren, warum ich das getan habe. Warum ich so geworden bin. Was ich in Zukunft anders machen, wissen und beachten muss. Nur weil ich selbst viel Scheiße erlebt habe, gibt mir das nicht das Recht, andere zu verletzen. Mich verändern, dadurch niemandem mehr schaden, ein zufriedenes Leben aufbauen – das kann ich nur schaffen, wenn ich die Therapie wirklich nutze.
Tue ich es nicht, wird in meinem Leben früher oder später wieder etwas schiefgehen, und ich werde vielleicht noch mehr Schaden anrichten. Dann wird es zu spät sein, um noch etwas zu ändern.«
Manche Straftäter rufen noch Monate oder Jahre später ihre Therapeuten im Knast an und erzählen, wie es ihnen geht. Viele sagen, dass sie sehr froh sind, die Therapie gemacht zu haben, dass es ihr Leben positiv verändert hat. Ich bin entlassenen Insassen der Sozialtherapeutischen Anstalt auch schon außerhalb wieder begegnet. Einmal saß ich abends im Regionalexpress auf dem Weg zu einem Konzert, als mir ein ehemaliger Gruppenteilnehmer entgegenkam. Er grinste, als er mich in meinen Grufti-Klamotten sah, und begrüßte mich freundlich. Ich
Weitere Kostenlose Bücher