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Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen

Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen

Titel: Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Benecke
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immer sein. Deshalb »sammelt« er jene Menschen, die ihm gefallen, indem er ihre Abbilder, ihren Schmuck oder sogar ihr Leben mit sich nimmt. So werden sie zu einem Teil seiner Welt, da er kein Teil ihrer Welt werden kann.
    Hinter all den Rollen, die er perfekt spielt, versteckt Rodney den Kern seiner Persönlichkeit: Er wusste noch nie, wer er in Wirklichkeit ist. Noch nicht einmal, »was« er eigentlich ist.
    Rodney Alcala ist einfach, was er ist:
    Mehr als die Summe vieler bunter, extremer, chaotischer Puzzlestücke.

    Beispiele der unzähligen von Alcala aufgenommenen Fotos – von denen bis heute nicht geklärt ist, ob einige dieser Personen ebenfalls von ihm getötet wurden: »Gesammelte Menschen als Trophäen«.
    Im März 2010 schließlich, nach mehreren vorhergehenden Verfahren, wird Rodney Alcala in Kalifornien zum Tode verurteilt, wegen der Morde an Robin Samsoe, Jill Barcomb, Georgia Wixted, Charlotte Lamb und Jill Parenteau. 2013 wurde er in New York zusätzlich zu 25 Jahren Haft verurteilt, nachdem er sich der Morde an Cornelia Crilley (1971) und Ellen Hover (1977) für schuldig bekannt hatte.

KAPITEL 2
ALICE IM VERBRECHERLAND:
DIE FASZINATION DES BÖSEN
    Die Menschen sind Feinde dessen,
    was sie nicht kennen
    und was sie nicht verstehen.

    (Ali Ibn Abi Talib)
    Der tödliche Traumprinz. Ein Mann, der seine mörderischen Absichten hinter einer harmlos-charmanten Maske verbirgt.
    Ein Einzelfall? Keineswegs.
    Mir wurde schon während meiner Ausbildung zur Kriminalpsychologin vor Augen geführt, dass vielen Menschen nicht anzusehen ist, welche Verbrechen sie verüben wollen oder werden – oder verübt haben. Ich machte damals ein Praktikum in einem Gefängnis. Eines Tages stand ich im Büro der Psychologin dem ersten Täter gegenüber, mit dem ich intensiver zu tun haben sollte. Der Mann hatte ein nettes Lächeln, er wirkte freundlich und ruhig.
    Ich kannte auch seine andere Seite. Ich hatte ausführlich seine Akte gelesen, hatte die Bilder von der Leiche seiner Frau im Kofferraum gesehen. Mit der Hand, die ich gerade schüttelte, hatte er dieser Frau ein Kissen aufs Gesicht gedrückt, mindestens zwei Minuten, bis sie tot war. Anschließend hatte er ihre Leiche in Decken und Mülltüten verpackt und aus dem Haus geschafft, bevor die Kinder etwas entdeckten.
    Er war bei der Tat in einem gefühlsmäßigen Ausnahmezustand gewesen. Kein Psychopath, sondern ein typischer »Beziehungstäter«, der seine Frau spontan nach einer langen Ehekrise getötet hatte. Jetzt war ihm nichts davon anzumerken.
    Dass ich mich inzwischen beruflich mit solchen Menschen befasste, war kein Zufall. Der Keim für diese Entwicklung wurde bereits in meiner Kindheit gelegt. Ich war gerade elf, da hatte ich meine erste Begegnung mit Hannibal Lecter.
    »Das Schweigen der Lämmer« ist sicherlich kein Film, den ich Eltern als Empfehlung für ihre Kinder an die Hand geben würde. Altersbeschränkungen bei Filmen bestehen aus gutem Grund, und »Das Schweigen der Lämmer« ist starker Tobak, vor dem man Kinder prinzipiell schützen sollte. Doch in meiner Kindheit war einiges anders als bei anderen.
    Meine Mutter war alleinerziehend und noch vor dem Zusammenbruch des Kommunismus in den achtziger Jahren mit mir aus Polen geflohen. Damals war ich noch keine fünf Jahre alt. Nach Monaten in Auffanglagern und Ausländerheimen zogen wir in eine Sozialwohnung im »Ghetto« einer Ruhrgebietsstadt. Das Geld war ständig knapp, meine Mutter besuchte Sprachkurse, machte ihren Führerschein und arbeitete rund um die Uhr. Ich verbrachte meine Freizeit bei meinen alten, mit sich selbst beschäftigten Großeltern und hatte anstelle einer »heilen Familie« etwas, was mir bis heute sehr wertvoll ist: sehr viel Freiheit in den Dingen, die ich tun und mit denen ich mich beschäftigen wollte.
    Mein Großvater kaufte täglich die »Bild«-Zeitung – seine Deutschkenntnisse beschränkten sich auf das, was er im Zweiten Weltkrieg als Soldat gelernt hatte, und reichten aus, um den Inhalt zu verstehen. So kam auch ich schon in der Grundschule an meine ersten Artikel über Kriminalfälle. Die Lektüre ersetzte mir wohl das, was für andere Kinder »Grimms Märchen« sind. Schon damals erschien mir die Wirklichkeit wesentlich spannender als ausgedachte Geschichten. Die »Bild«-Artikel fand ich so interessant, dass ich sie in einem Heftordner sammelte. Dabei fiel mir ein Grundprinzip auf, das mich bis heute bei Kriminalfällen fasziniert: Sie sind nur selten

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