Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen
Familienfotos lächeln soll, auch wenn er dabei nichts empfindet. Das mache man so, damit die anderen Familienmitglieder sich über die schöne Erinnerung freuen. Auch Alexander nutzt wie jeder Mensch, der wenig fühlt, aber seine Mitmenschen für sich gewinnen will, das gezielte Lächeln im richtigen Moment.
Bei Christian ist das »Lächeln, um andere für sich zu gewinnen« besonders ausgeprägt. Er lächelt die meiste Zeit, womit er auf normale Menschen einen besonders fröhlichen und freundlichen Eindruck macht. Außerdem spricht er fast immer leise und mit ruhiger, freundlicher Stimme. Diese Maske ist so perfekt, dass andere meist tatsächlich nicht durchschauen, was wirklich in ihm vorgeht und wann sich seine Stimmung ändert. Es gelingt ihm damit, auch fremde Menschen zu seinem Vorteil zu beeinflussen.
Bei unseren Gesprächen erzählte er mit ebendieser ruhigen, freundlichen Stimme und dem gezielten Lächeln manchmal keineswegs nette Dinge. Er hat – wie viele psychopathische Menschen – sehr ausführliche, bösartige und gewalttätige Phantasien, was er Personen antun könnte, die er nicht mag. Dabei sagt er – was ebenfalls sehr typisch für nicht-kriminelle Psychopathen ist –, dass nicht ein schlechtes Gewissen ihn davon abhält, diese Ideen in die Tat umzusetzen, sondern hauptsächlich die Befürchtung, dafür bestraft zu werden: »Diese Leute sind es nicht wert, dafür ins Gefängnis zu gehen.«
Das ist ein wichtiger Unterschied zwischen ihm und stark ausgeprägten kriminellen Psychopathen: Diese lernen nicht aus Strafen und fürchten sich nicht wirklich davor. Ich traue Christian – ebenso wie meinen anderen psychopathischen Interviewpartnern – zu, dass er Menschen, die ihn wütend machen und die er nicht mag, schaden würde, wenn er keine Strafe fürchten müsste. Gewissensbisse hätte er deshalb nicht.
Menschen, die er nicht mag, verunsichert Christian gerne, wenn diese ihm beispielsweise Vorwürfe machen. Dann lächelt er sie einfach freundlich an und erwidert mit ruhiger Stimme etwas, das sie noch wütender macht. Die meisten Menschen, die sich auf diese Weise mit ihm anlegen, gehen bald: sprachlos, wütend und verwirrt.
Manchmal macht es ihm auch Spaß, anderen Angst einzujagen. Ein Mädchen, mit dem er ausging, wollte ihn scherzhaft herausfordern und sagte: »Du glaubst also, man kann Menschen mit jedem beliebigen Gegenstand foltern? Wenn ich dich auffordere, mich mit einem Wattebausch zu foltern, wie würdest du das anstellen?« Mit seinem freundlichen Lächeln und seiner sanften Stimme erwiderte er: »Ich würde dich nackt fesseln, den Wattebausch in Benzin tunken und ihn auf deinem Bauch anzünden.« Das Mädchen ging nie wieder mit ihm aus, was Christian dieser »Spaß« aber wert war.
Meistens setzt Christian seine positive Ausstrahlung aber ein, um einen angenehmen Eindruck zu machen und damit zu erreichen, was er gerade möchte. Bei Polizeikontrollen gelang es ihm so, niedrigere Strafen für Verkehrssünden auszuhandeln oder auch einen Bluttest zu umgehen. Den Test fürchtete er nicht wegen des Ergebnisses – Christian hat noch nie Drogen genommen und trinkt auch nur selten Alkohol –, sondern wegen der Spritze. Er hasst es, sich Blut abnehmen zu lassen, weil das für ihn ein »Kontrollverlust« ist.
Einige kriminelle Psychopathen, die durch ihre Verbrechen bekannt wurden, nutzen ihr Lächeln ebenso gezielt wie meine Interviewpartner. Ted Bundy war der erste »Superstar« unter den Serienmördern. Bis heute hat er »Fans« auf der ganzen Welt. Unzählige Frauen verliebten sich in ihn – auch nachdem er als sadistischer Frauenmörder angeklagt und verurteilt wurde. Bundy gab gerne Interviews, stellte sich wie ein Filmstar vor laufende Kameras und wurde berühmt wegen seines überzeugenden, freundlichen Lächelns. Mit diesem Lächeln brachte er auch viele seiner Opfer dazu, ihn zu begleiten.
Typisch psychopathisch Teil 4:
»Sex ist Liebe«
Meine mittelgradig psychopathischen Interviewpartner finden es durchweg besonders schwierig, das Wort »Liebe« wirklich zu verstehen. Auch stark ausgeprägte Psychopathen sagen manchmal, sie hätten jemanden geliebt, wenn sie sich eigentlich nur stark sexuell erregt fühlten. Einer meiner Interviewpartner erzählte, dass er seiner Partnerin durchaus sage, dass er sie liebe. Dabei bedeutet »Liebe« für ihn aber eigentlich »Freundschaft mit Sex«. Falls normale Menschen unter dem Wort »Liebe« etwas anderes verstehen, sagt er, kann er
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