Auf Dunklen Schwingen Drachen1
die Antwort längst.
»Hol die Macheten«, sagte Gelbgesicht. »Beweg dich.«
»Du gibst ihnen die Babys?«
Sie schlug mich, mitten ins Gesicht.
Das hatte sie noch nie gemacht; bisher hatte sie mir immer Kopfnüsse gegeben oder mir die Ohren lang gezogen, wenn sie mich körperlich züchtigen wollte. Ihre Hände bestanden nur aus Knochen und Sehnen, und sie trafen meine Wange wie ein hölzernes Paddel. Ein stechender Schmerz zuckte bis in meinen Hals, so heiß wie kochendes Öl. Tränen traten mir in die Augen, und ich verlor jedes Gefühl für Zeit und Raum. Aber nur einen Moment.
Ihr Gesicht verschwamm in dem Dämmerlicht, das von den Kerzen der Totenwache im Erdgeschoss heraufdrang. Ihre langen hageren Wangen waren verzerrt vor Wut, einer Wut, die ich an ihr noch nie erlebt hatte. »Macheten!«
»Nein«, erwiderte ich, selbst von der Ruhe überrascht, mit der ich das Wort aussprach. »Diese Babys werden nicht weggegeben.«
»Doch.«
»Sie bleiben.« Meine Stimme duldete keinen Widerspruch. Gar keinen. Ich drehte mich zu den Djimbi-Frauen herum.
»Legt sie wieder zurück.«
Gelbgesicht beschwichtigte die beiden Ausgeburten mit einer Handbewegung. Beachtet das verstörte Kind nicht, bedeutete ihre Geste. Geht einfach eures Weges.
Ich packte ihr knochiges Handgelenk. Riss hart daran. »Ich sagte Nein!«
»Du hast keine Vorstellung …«
»Ich verrate es!«
Zeit verstrich, eine lange Zeit.
Die feuchte Dunkelheit sog die Geräusche der Nacht auf. Keine Zikaden zirpten, keine Insekten brummten, keine Renimgars grunzten, und kein Wind strich über die Hanfstangen. Im Erdgeschoss stimmten unsere heiligen Schwestern ein Klagelied an.
Gelbgesicht blähte die Nasenflügel. »Du würdest dem Tempel verraten, was wir mit den Drachen machen, nur um diese unehelichen Bälger hierzubehalten? Wir würden alle bestraft, wir alle, die Babys würden wegen meiner Taten mit uns sterben, unter der Tempel-Guillotine. Das ist dir doch klar, oder?«
»Nicht dem Tempel, nein. Ich würde es den anderen verraten, allen Onai. Ihr würdet nie wieder zusammen Wache halten dürfen. Keine Hurerei mehr mit den Drachenzungen. Ich würde es tun. Ich würde es verraten.«
Die Wahrheit stand zwischen uns wie eine Statue aus feinem Porzellan, strahlend weiß, solide, unverrückbar. Etwas änderte sich in Gelbgesicht. Ich konnte es nicht erkennen, aber die Veränderung war in der Luft spürbar. Als sie wieder sprach, blähte sie vor Wut ihre Nasenflügel so weit, dass sich dabei ihre Lippen verzerrten.
»Der Junge kann nicht bleiben.«
Es war ein Zugeständnis, gleichzeitig jedoch eine unerbittliche Entscheidung. Das Mädchen konnte bleiben, der Junge würde mit diesen Ausgeburten gehen.
»Du bist eine Schlange«, spie ich hervor. »Eine perverse Schlange. Die Farbe deiner Haut spiegelt nur dein krankes Inneres wider!«
»Du beschneidest das Baby.« Ihr Zorn war genauso groß wie meiner. Sie deutete mit einem bebenden gichtigen Finger auf eines der Babys, das an der Brust der Djimbi nuckelte. »Nicht ich, sondern du!«
In dem Moment schwante mir Böses.
Wenn das Baby bei den Djimbi aufwuchs, würde es keine Verstümmelung erleiden müssen, keine Anbetung leisten, nur wenig von dem unaufhörlichen Kampf erleben, den wir täglich gegen Hunger und Krankheiten führten.
Wenn Kiz-dan sterben sollte, was wahrscheinlich war, was dann? Wer würde das Baby stillen? Und wenn Kiz-dan überlebte, aber ihre Krankheit ihre Milchbrüste schrumpfen ließ – wie sollten wir dann das Baby füttern? Womit sollten wir es wickeln? Wer würde bei dem Baby schlafen, wenn Kiz-dan Nachtwache hielt? Und da wir nun auch keine Medizinfrau mehr hatten, was würden wir tun, wenn das Kind krank wurde, was ja häufig vorkam?
Würde es überhaupt die Beschneidung überleben?
Die Ungeheuerlichkeit dessen, was ich für das Kind entschieden hatte, ließ mir die Knie weich werden. Mir wurde klar, dass ich einen Fehler gemacht hatte. Gewiss, es war grausam, der Mutter die Kinder zu entreißen, aber längst nicht so grausam wie das, wozu ich das Kind verdammte. Ich starrte auf meine Füße, und heiße Scham überfiel mich.
Nehmt das Kind, nehmt beide.
Bevor ich die Worte aussprechen konnte, war sie da, in mir. Ihr Mund war ein gähnender, schwarzer Schlund, der mein ganzes Blickfeld ausfüllte, dessen Protest mir in den Ohren dröhnte, mir in allen Venen brannte. Nehmt mir mein Baby nicht weg!
Ich schwankte, hielt mir die Augen zu, krümmte mich.
»Es ist nicht
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