Auf Dunklen Schwingen Drachen1
obwohl sie nicht größer war als sie. »Du bist die Konventälteste, richtig?«
Wir anderen Onai sahen uns an.
Die Frage, wer an Bojests Stelle treten würde, war noch nicht geklärt worden. Die alte Voe-too war zwar älter als Gelbgesicht, aber keiner konnte sie sich auch nur einen Moment als Konventälteste vorstellen. Einige glanzlose alte Weiber wären angesichts ihres Alters als Nächste an der Reihe gewesen, aber auch sie waren als Kandidaten ungeeignet, sie waren zu langsam, zu schnell verwirrt. Ras-aun oder Nae-ser hätten gewählt werden können, aber die Schüttellähmung der einen, die immer schlimmer wurde, und die schwindende Sehkraft der anderen weckte in keiner von uns viel Vertrauen.
Gelbgesicht zögerte, bevor sie antwortete. »Ich handle vorläufig an Bojests Stelle.«
Keine von uns widersprach, also war es entschieden: Gelbgesicht würde die neue Älteste von Tieron Nask Cinai sein.
Schönchen legte ihre feingliedrige Hand auf Gelbgesichts Arm, als wären sie zwei Freundinnen, die durch den Garten flanieren wollten. Sie gingen ans andere Ende des Dachbodens, um dort ungestört reden zu können. Ich folgte ihnen.
Ich ahnte, was kam, und wollte es mit anhören.
Schönchen sah mich herablassend an. »Du bist hier überflüssig, Schmutzfink!«
Ich verschränkte die Arme über der Brust. »Ich bleibe.«
»Gut, gut«, sagte Gelbgesicht müde und gereizt. Sie sprach mit Schönchen. »Sag deinen Spruch auf, Mädchen. Auf uns wartet eine Menge Arbeit.«
Ich fand das recht mutig von ihr, Schönchen ein Mädchen zu nennen, als wäre sie ein Kind. Widerwillig räumte ich vor mir ein, dass ich sie deshalb bewunderte.
»Ich weiß, was als Nächstes passiert.« Schönchens Wangen färbten sich rot. »Mein hochgeschätzter Gebieter hat es sehr genossen, mich ausführlich darüber zu informieren, welches Schicksal mich erwartet. Daher sage ich dir jetzt Folgendes: Ich lasse mich nicht beschneiden.«
»Unsinn!«, fuhr Gelbgesicht sie an. »Du setzt nur dann deine Füße auf diese Erde und isst unser Essen, wenn du rein bist.«
»Ich verbiete es dir.«
Oh! Diesen Disput mit anzusehen würde entzückend werden.
Gelbgesichts Wangen glühten vor Wut. »Dann kannst du die Treppe hinuntergehen und aus der Tür marschieren. Die Tempelstatuten schreiben vor, dass alle Frauen, die den Kuneus dienen, rein sein müssen. Ich werde mich an dieses Gesetz halten.«
»Ach wirklich?«, gurrte Schönchen. »Verbessere mich, falls ich mich irre, aber verlangt das Tempelstatut nicht ebenfalls, dass ein Konvent frei von jeder männlichen Präsenz zu sein hat, abgesehen von den Tempelrevisoren? Und ist jenes Kind dort nicht unverkennbar männlich?«
»Er wird kastriert«, erklärte Gelbgesicht barsch, ohne sich die Blöße zu geben, mit dem Blick Schönchens anklagend erhobenem Finger zu folgen.
»Trotzdem ist er ein Mann.«
Gelbgesicht traten die Augen fast aus dem Kopf. »Du wirst mich nicht erpressen.«
»Ich werde nicht beschnitten!«
»Du gehst oder bleibst, dann aber rein.«
Schönchens Griff um Gelbgesichts Handgelenk verstärkte sich. Bis zu diesem Moment hatte ich nicht bemerkt, dass sie sie nicht losgelassen hatte.
»Hör mir genau zu, alte Frau. Ich bin weit jünger als du, gesünder und kräftiger. Ich kann singen, tanzen, lesen und schreiben, und ich habe Verbindungen zu den einflussreichsten Familien unserer Nation. Du willst nicht wirklich, dass ich hier verschwinde. Diese erbärmliche kleine Mühle mit ihren verrottenden Balken und geflickten Mauern könnte ich im Nu«, sie klatschte in die Hände,«reparieren lassen, kapiert?«
Sie hatte direkt unter Gelbgesichts Nase in die Hände geklatscht. Das wiederum fand ich unglaublich mutig von ihr.
»Weißt du, warum ich hier bin?«, fuhr Schönchen vehement fort. »Weil mein Gebieter mich liebt. Er liebt mich bis zum Wahnsinn, und er ist der hässlichste Mann, den du jemals gesehen hast. Ich konnte die Berührung seiner klammen Haut kaum ertragen, und das wusste er. Aber sein Bruder, mmh, das ist ein Mann. Ich bin so oft ich konnte in sein Bett gekrochen. Keiner der beiden Männer will, dass ich hier bin, aber keiner erträgt es, mich mit dem anderen zu teilen. Das hier ist ihre Lösung für ihre kleinliche Eifersucht, verstehst du? Ich brauche mich nur einmal wegen meiner Unannehmlichkeiten zu beschweren, dann erscheinen hier sofort prall gefüllte Koffer!«
»Lass mich los!«, zischte Gelbgesicht. Mein Magen verkrampfte sich angesichts der Wildheit
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