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Auf Dunklen Schwingen Drachen1

Auf Dunklen Schwingen Drachen1

Titel: Auf Dunklen Schwingen Drachen1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: cross
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Schönchen einen Seitenblick zu und zuckte zusammen. Sie hatte mich dabei beobachtet, wie ich Kiz-dan musterte. Sie fletschte beinahe die Zähne. Ich konzentrierte mich darauf, meinen Lappen über den Boden zu ziehen.
    »Bist du immer noch nicht fertig?«, knurrte Gelbgesicht.
    »Beeil dich gefälligst, heho, und dann komm her. Du musst den beiden hier einen Namen geben.«
    Ich warf meinen Putzlappen in die Urne. »Was?«
    »Trödel nicht, komm her!«
    Dann dämmerte es mir. Ich war die einzige Onai in Tieron, die lesen und schreiben konnte. Naesers Augenlicht war fast gänzlich erloschen.
    Mit dieser Erkenntnis kam auch ein Machtgefühl. Ich fühlte mich allmächtig, unschätzbar wertvoll, unangreifbar. Möglichkeiten taten sich vor mir auf.
    Ich rutschte auf den Knien zu der Stelle hinüber, an der Gelbgesicht bereits vor den beiden Frauen kniete. Mein Überlegenheitsgefühl verpuffte jedoch schlagartig. Die erste Aufgabe, die mich aufgrund meiner neuen Position erwartete, bestand darin, die Blutflecken auf den Schlafmatten der verstümmelten Frauen zu interpretieren.
    Ich zuckte vor den kleinen, geronnenen Flecken auf der Schlafmatte zurück, die Gelbgesicht vor mir hochhielt.
    »Lies sie.«
    »Das ist geschmacklos.«
    »Strapaziere meine Geduld nicht, Kind.«
    Ich starrte angeekelt auf die Flecken. »Sie sehen überhaupt nicht wie Schriftzeichen aus.«
    »Boj-est hatte nie Probleme, sie zu interpretieren.«
    »Da drängt sich mir die Frage auf, wie gut ihr Augenlicht war.«
    »Zar-shi!«
    »Ich sehe hier keine Schriftzeichen.«
    »Hör auf zu bocken. Lies!« Die rotbraunen Flecken zitterten, als Gelbgesicht die Matte dichter zu mir hin schob.
    Ich schlug sie zur Seite. »Lies du doch selbst, wenn du so schlau bist.« Gelbgesicht zuckte zusammen und schluckte. Ihre hüpfende Gurgel war wirklich hässlich. Dann wurde mir klar, dass sie sich schämte, weil sie so ungebildet war. Sie glaubte, sie wäre mit einem Makel behaftet, wäre weniger wert als ich, und empfand das als zutiefst demütigend.
    Diese Erkenntnis verlieh mir Sicherheit.
    »Leber«, knurrte ich.
    »Ah.« Gelbgesicht blinzelte und sah dann auf die blutbefleckte Schlafmatte. »Leb-her also.«
    In dem Moment kam ich mir schmutzig vor. Nicht nur wegen meiner Verdrießlichkeit und weil meine alberne Lüge mit einem einzigen Wort jemanden verurteilt hatte, den Namen eines Organs zu tragen, sondern auch wegen Gelbgesichts Bereitschaft, mir zu glauben.
    Ich überkompensierte diese Boshaftigkeit, indem ich Lebhers Gefährtin Orchidee nannte.
    Hatte Gelbgesicht jedoch den Namen eines Organs ohne jeden Zweifel akzeptiert, sperrte sie sich gegen den Namen einer Blume. »Lächerlich. Lies es nochmal, Zar-shi.«
    »Orc-hid«, wiederholte ich. »Da steht Orc-hid.«
    Dann stand ich auf und flüchtete vor der drückenden Hitze in die Rotunde, wo ich mich den Rest des Morgens versteckte und den alten Maht mit ungewohntem Eifer pflegte.
     
    Schönchen blieb an diesem Tag und auch den Rest der Woche auf dem Dachboden.
    Sie aß nur das, was ich ihr heimlich im Schutz der Nacht zusteckte. Ich missgönnte ihr jeden Bissen, aber ich war zu feige, ihr etwas zu verweigern. Ich wollte nicht, dass Kiz-dan von meiner Beteiligung an dem Verlust ihres Mädchens erfuhr. Oh nein, das wollte ich überhaupt nicht.
    Gelbgesicht argwöhnte, dass jemand Schönchen Essen gab. Trotz ihrer zunehmenden Lethargie war Schönchen nämlich nicht so schwach, wie eine hungernde Person es sein sollte, die auf einem stickigen Dachboden mitten in der Zeit des Feuers gefangen gehalten wurde. Gegen Ende der ersten Woche fing Gelbgesicht an, mich zu beobachten wie ein Drachenbulle seine Beute.
    Die beiden jungen Frauen, die wir beschnitten hatten, erholten sich. Wir fanden heraus, dass es Cousinen von Schönchen waren, die ihr als Begleitung dienen sollten. Schönchen jedoch war von ihrer Anwesenheit angewidert. Sie tröstete sie kein einziges Mal, während sie genasen, sondern hockte nur schmollend auf dem Dachboden und half Kiz-dan, wenn die Langeweile sie dazu trieb.
    Allerdings versuchte sie nie, den Dachboden zu verlassen. Der Widerwille der anderen Onai gegen Schönchen wegen ihrer Weigerung, sich beschneiden zu lassen, erzwang ihren Gehorsam, denn Gelbgesicht hatte unmissverständlich verkündet, dass Schönchen gesteinigt werden würde, falls sie auch nur einen unreinen Fuß auf unsere vom Drachen gesegnete Erde setzen würde.
    Ich sah in den welken, sonnenverbrannten Gesichtern der anderen

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