Auf Dunklen Schwingen Drachen1
würde. Meinen Durst stillte ich aus der düsteren Zisterne der Erwartung.
An diesem Tag zeigte die Sonne sich kein einziges Mal.
Das undurchdringliche Grau des Spätnachmittags wich langsam der Dämmerung, die wiederum vom Schwarz der tiefen Nacht gefärbt wurde. Nass, fröstelnd und entschlossen erreichte ich schließlich im Schweigen der Mitternacht den Wai Bayen Tempel, in der Zone der Höchst Vornehmen Aristokraten.
Meine Fußsohlen, die von der Feuchtigkeit runzlig waren, klatschten auf den Pflastersteinen des weiten, leeren Marktplatzes, der den Tempel umgab. Das Geräusch wurde von den Tempelsäulen zurückgeworfen. Selbst ohne das Licht der Sterne und des Mondes, das vom Nebel verschluckt wurde, erhaschte ich einen Blick auf den Tempel, von dem einzelne Ausschnitte durch Lampen und Kerzenlicht erleuchtet wurden.
Im Nebel schimmernde Muster, die durch das Licht erzeugt wurden, welches aus den geometrischen Fenstern fiel, die in die Balustraden und Mauern aus Sandstein geschnitten waren, hingen wie bewegungslose Vögel in der Luft. Lichtreflexe drangen aus schrägen Bleiglasfenstern, und Lichtlanzen zuckten von Minaretten und glänzten auf den kupfernen Zwiebeldächern darunter.
Insgesamt kündete dieses Licht von einem Luxus, der meinen Hass und meine Entschlossenheit aufs Neue anstachelte.
Hinter dem Marktplatz lagen Herbergen und Tavernen, Ställe und mit Läden verschlossene Geschäfte, die reisende Händler versorgten und sich unter einer Dunstglocke von Urin und Gharial-Fett zusammenkauerten. Ich war natürlich schon einmal hier gewesen, mit meiner sterbenden Mutter. Als wir damals aus Brut Re geflohen waren.
Dröhnendes Gelächter und Musik schallten aus einer hohen, schmalen Herberge, deren Tür drei trunkene Männer ausspie, die über die Pflastersteine torkelten. Einer der drei blieb stehen und übergab sich, die Hände auf die Knie gestützt. Ich wartete, bis er fertig war, dann näherte ich mich ihm, geschützt von meiner orangefarbenen Kutte.
»Cafar Re?«, murmelte ich.
Seine Augen waren gerötet vom Trunk, und er wollte bereits eine Beleidigung ausstoßen. Als jedoch ein Lichtstrahl aus der Taverne auf mich fiel, mich als Diener der Toten enthüllte, biss er sich auf die Zunge.
»Da runter, nach links, dann weiter hinab.«
Ich folgte der steil abfallenden gepflasterten Straße. Mief aus den Tavernen und Nebel zogen hinter mir her, ein wahrlich widerliches Zweigespann. Dann jedoch wehte ein warmer Wind mir einen schweren Duft von Zitrus in die Nase und fegte den Nebel mitsamt dem Gestank der Tavernen hinweg. Und gegen den plötzlich nachtschwarzen, von brillanten Sternen überzogenen Himmel sah ich Cafar Re.
Cafar Re.
Wörtlich übersetzt bedeutete das: die Bastion der Tränen.
Es war der Name des Drachenbullen unserer Brutstätte in der Sprache des Imperators: Tränen. Jeder Drachenbulle in ganz Malacar wurde nach einem Körpersekret benannt, bekam einen niederen, vulgären und verachtenswürdigen Namen. Dieser Name sollte die göttlichen Bestien tarnen, damit die Eine Schlange, der Erste Vater, der Vorfahr und Geist aller Kwano-Schlangen überall unsere heiligen, seltenen Bullen übersah.
Brut Re, Brutstätte der Tränen. Cafar Re, Bastion der Tränen.
Die Bastion zog sich über den gesamten Hügel vor mir.
Kuppeln, Laubengänge, Gärten, Brunnen, Pavillons und Arkaden: Mit der Klarheit, die durch ihre Lage auf dem Hügel und das helle Mondlicht gewährt wurde, sah ich sämtliche Dächer, selbst die Wedel der Palmen, welche bis zu den höchsten Balkonen reichten. Glasierte Keramikfliesen bedeckten die viereckigen Pagodendächer und schimmerten wie poliertes Messing. Gewundene Tondrachen, deren kleine Silhouetten sich deutlich im Mondschein abhoben, thronten auf jedem der geschwungenen Giebel.
Ich erinnerte mich an den Danku, meinen Geburtsclan, an die Töpfer, die ebensolche Drachen herstellten. Einst, in meiner Jugend.
Der Nebel stieg wieder auf, so plötzlich und vollkommen, wie er verschwunden war, und ich lief hastig die gepflasterte Straße entlang, bis zum Fuß von Cafar Re. Mein Herz glühte viel zu sehr, war viel zu schwer, das Blut strömte wie Gift durch meine Adern, die Machete in meiner Hand schien eine gierige Kreatur zu sein. Mein Atem kratzte in meinem Hals; er war so heiß wie Metall im Sonnenlicht, so rau wie Wüstensand. Meine Makmaki-Kutte klebte an meinen Beinen wie die Bandagen um einen einbalsamierten Leichnam.
Am Fuß des Hügels riss die Nebelbank
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