Auf Dunklen Schwingen Drachen1
Gerüche des Dschungels beschworen wurden und der salzige, ledrige Geruch der Drachen. Während ich las, erinnerte ich mich an die Klugheit, die ich so oft in den traurigen Blicken der Kuneus gefunden hatte, die ich in Tieron pflegte, und ich fragte mich, wie der Tempel eine solch weise, sinnträchtige Lyrik produzieren und Drachen als göttlich ansehen und dabei Menschen und Tiere gleichzeitig so abgrundtief schlecht behandeln konnte.
Diese Gedanken zwackten mein Gewissen, drohten in das Grabmal einzudringen, in dem ich meinen unmöglichen Traum begraben hatte, eines Tages einen eigenen Drachensitz zu haben. Aber von solch beunruhigenden Gedanken vermochte ich mich mit Leichtigkeit abzulenken, indem ich einfach nur an Kratt dachte, an all das, was er mir genommen hatte, an all das, wofür er stand. Ich konnte mich ohne Schwierigkeiten in meinen Hass auf ihn versenken und auf diese Weise meinen unmöglichen Traum weiter in seinem Mausoleum lassen.
Wenn ich keine Schriftrollen las, dachte ich also an Kratt und malte mir die vielen Möglichkeiten aus, wie ich meinen Schwur erfüllen und meine Familie rächen wollte. Bis mir diese Gedanken zu gefährlich wurden, zu viel Erinnerungen an all das beschworen, was ich verloren hatte, und ich mich hastig wieder in das Studium der Schriftrollen vertiefte.
Und dann, eines Morgens, am Ende der zweiten Woche meines Aufenthaltes im Tempel Ornisak, fiel mein Blick auf eine Rolle, die ich bislang noch nicht bemerkt hatte.
Sie lag auf der roten Zunge der hölzernen Clackron-Maske, die auf dem von Holzwürmern durchlöcherten Schrank thronte. Ich wuchtete mich mühsam von dem Stuhl, auf dem ich saß – ich saß häufig am Schreibtisch und kopierte alte Schriftrollen auf neue Pergamente, erledigte Oteuls Arbeit, während er Drachenjünger Gen half, das Leben der Bewohner unserer Zone zu retten -, und ging zu dem Schrank. Ich weiß nicht, warum mir diese Schriftrolle zuvor nicht aufgefallen war, denn sie war unübersehbar, wie sie so gefährlich auf der Zunge der Maske balancierte. Ich spielte kurz mit dem Gedanken, dass sie vielleicht absichtlich am Morgen dorthin gelegt worden war, damit sie mir ins Auge fiel.
Als ich die Rolle wegnahm, sah ich das Glänzen von Metall hinter der Maske.
Ich schob sie ein Stück zur Seite. Gelbgesichts Machete blinzelte mir zu. Aha, hier hatte Oteul sie also versteckt! Erfreut, dass ich sie gefunden hatte, ließ ich die Waffe liegen. Sie war dort sicher, und da ich jetzt wusste, wo sie war, gab es keinen Grund, sie wegzuschaffen. Stattdessen ging ich mit der Schriftrolle zum Schreibtisch zurück.
Ich öffnete den Verschluss der Bambushülle und kippte die Schriftrolle auf den Schreibtisch. Sofort erfüllte ein modriger Geruch die Luft.
Die Rolle war alt, brüchig und vergilbt. Als ich sie vorsichtig ausrollte, rieselten Stücke von den eingerissenen Rändern auf die Tischplatte.
Die Hieroglyphen waren wunderschön. Sie waren extravagant und sehr prachtvoll mit roter, blaugrauer und smaragdgrüner Tinte gemalt, die jetzt natürlich verblasst war. Ich wusste sofort, dass dies eine sehr kostbare Schriftrolle sein musste. Solche archaischen Schriftzeichen, von denen mir viele fremd waren, wurden schon lange nicht mehr benutzt.
Ich fing an, die Verse zu lesen, und schloss aus dem Kontext, so gut ich konnte, was die antiquierten Zeichen bedeuten mochten.
Und so soll es sein, durch den unveränderlichen, göttlichen Willen des Imperators Wai Fa-sren, dass Diener sich um alle Bedürfnisse der Bullen kümmern.
Der Bulle wird Diener haben, die ihn reinigen, Diener, die ihn füttern, Diener, die ihn weit und nah reiten, auf dass seine Stärke wächst und seine Schwingen nicht schrumpfen; Diener, die seinen Zorn anstacheln, auf dass er kraftvoll sei und sich paare. Es gibt nichts, was ein Diener nicht tun soll, den Bullen zu erfreuen, und der Diener wird bei dieser Pflicht willig sein Blut und sein Leben geben.
Nur die Unbefleckten mögen dem Bullen auf diese Weise dienen, auf dass die Freude des Bullen nicht von Perversität und Bösem besudelt werde, und hier seien diese im Folgenden benannt: Jede Reininkarnation des Imperators Fa, der nur ein Aspekt des Göttlichen Bullen ist, und jeder seiner Ersten Söhne; jeder geweihte Heilige Hüter vom Tempel des Drachen; jeder Roshu, Lupini oder Kriegerfürst, der mit Billigung des Imperators Fa einen Besitz sein Eigen nennt und beherrscht, in dem Drachen gezüchtet werden.
Mein Herz schlug schneller, als
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