Auf Dunklen Schwingen Drachen1
dem Stiefel ihr Gesicht. Immer und immer wieder, während das Blut spritzte, immer wieder …
Ich zögerte, Gelbgesichts Umarmung zu akzeptieren, erinnerte mich an diesen blonden, blauäugigen Aristokraten, der meine Mutter fast zu Tode getreten und meinen Vater ermordet hatte.
Wegen dieses jungen Mannes hatte ich alles verloren. Vater, Mutter, Clan. Meine Weiblichkeit, meine Gesundheit. Meine Vernunft. Meine Würde.
Kiz-dans Baby war nicht meinetwegen gestorben, sondern letzten Endes durch Waikar Re Kratt. Der Tempel mochte durch seine Monstrosität gesichtslos sein, Kratt dagegen war es nicht.
Dann zuckte mir eine letzte Erinnerung durch das Gedächtnis. Die Erinnerung, wie ich die Knochen und Sehnen eines Drachen anstarrte, die Eingeweide und das Hirn eines ausgenommenen Drachenbullen, des alten Maht. Ich erinnerte mich an meine ehrgeizigen Pläne, an das unmögliche Ziel, das ich der heiligen Schwester neben mir anvertraut hatte.
»Das will ich, über diesen Tag, über den nächsten Monat hinaus«, hatte ich gesagt. »Einen Drachenbullen und ein Jährlingsweibchen, mit dem er sich paaren kann. Meine eigene Brutstätte.«
Meinen eigenen Drachenbullen, meinen eigenen Drachensitz.
Kratts Tod.
Das war es, was ich wollte.
»WÄHLE!«, blaffte der Hüne zum vierten Mal, und meine Hände sanken herab, fort von Gelbgesichts Geist.
»Leben«, stieß ich krächzend hervor.
Gelbgesicht zerbarst in tausend Lichtscherben. Der Himmelswächter stürzte sich auf mich, doch statt mich in zwei Hälften zu zerreißen, schaufelte er die Schlange in seinen Schnabel und erhob sich in die Lüfte.
Bläulich schimmernde Federn regneten sanft auf mich herab.
Der Schmerz traf mich mit voller Wucht. Heiß. Weiß glühend. Gesäumt mit blutigem Schwarz. Er fegte über meinen Körper, hinauf, hinunter, raubte mir den Atem, bog meinen Rücken und entriss meiner Kehle einen endlosen Schrei.
Der Hüne drohte dem davonfliegenden Spuk mit seinem Stock. Dann drehte er sich zu mir herum, während seine von Klauen zerfetzte Brust sich unter seinen Atemzügen hob und senkte.
»Morgen kommt die Sonne, heho. Sonne, Sonne, die Zeit des Feuers kommt.« Als wären wir beste Freunde, die nichts anderes zu tun hatten, als nett miteinander zu plaudern. Er stützte sich auf den Stock und betrachtete mich, schwer atmend, während aus den Wunden in seiner Brust Blut zu Boden tropfte. »Du bist also die Tochter des Himmelswächters, heho? Ha!«
Er wandte sich ab, holte tief Luft, so tief, dass seine schlanke Brust sich aufblähte, und brüllte über die vielen Morgen qualmender Ruinen: »Ich habe sie gefunden, Imperator Fa! Hörst du mich? Ich habe sie gefunden!«
Als der Schlachtruf des Hünen über das Werk der Zerstörung hallte, schloss ich meine Augen und gab mich dem Vergessen hin.
25
D er Schmerz pochte, schwoll an, immer mehr. Ebbte ab. Ich versank in Schlaf.
Erneut dieser Schmerz; er schwoll stärker an, die Qualen waren größer.
Der Schlaf floh, als der Schmerz klarer wurde, schärfer, und ich mit einem Keuchen erwachte, das zu einem lang gezogenen Schrei wurde, während Feuer fauchend aufloderte, meinen Arm hinauf-und hinunterlief und bis ins Mark meiner Knochen brannte. Ich konnte nichts sehen; um mich herum war alles dunkel. War ich blind?
Etwas bewegte sich neben meinem Ellbogen. Das kühle glatte Holz einer Trinkschale drückte sanft gegen meine Lippen. »Trink das. Es wird den Schmerz betäuben.«
Ich trank gierig die angebotene Flüssigkeit, verschluckte mich fast und verschüttete einige Tropfen. Als ich fertig war, rang ich keuchend nach Luft.
»Es tut weh, so weh …«
»Das kann ich mir vorstellen«, erwiderte die Stimme. Eine Hand drückte meinen Kopf auf die Unterlage zurück, auf der ich gelegen hatte. »Lieg still. Lass ihm Zeit, seine Wirkung zu zeitigen.«
»Es tut weh.«
»Tief atmen. Einatmen. Ausatmen. Einatmen …«
»Ich bin blind.«
»Es ist Nacht, und es gibt kein Licht. Atme jetzt. Ein, aus, ein, aus.«
Ich konzentrierte mich auf diese Atemzüge, hielt mich fiebernd an den vorgegebenen Rhythmus. Die Stimme wurde schwächer. Der Schmerz ließ nach.
Ich murmelte etwas. Was, weiß ich nicht. Die Stimme antwortete mit Worten, die irgendwie gedehnt klangen, verzerrt, langsamer wurden, unverständlich.
Der Schlaf schloss mich in seine sanften Arme.
Tageslicht.
Ich erwachte zu schnell, als hätte mich jemand wachgerüttelt, und sah mich benommen um. Meine Blicke zuckten hierhin und dorthin, als
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