Auf Dunklen Schwingen Drachen1
laut aussprach, was andere bereits hinter vorgehaltener Hand ausgesprochen hatten, und nur laut verkündete, was viele über den Tempel dachten. Dass er es ausgerechnet gegenüber dem alten Kobo dem Eiferer tat, lag an Kwanos Fluch .
Es passierte so schnell. Ich war kaum eine Armlänge entfernt, hockte vor einem Bündel Äste auf den Hacken. Ich hörte den Streit, sah die Prügelei, wie die Machete in Kobos Leib fuhr. Ein feiner Sprühnebel aus Blut benetzte meine Füße, meine Arme.
Schrille Schreie, Gebrüll. Das dumpfe Klatschen von Fäusten auf Leibern. Staub wallte auf, und Astbündel wurden zertreten und verstreut, als Beine und Füße über mich herfielen. Flüche, Geheul, Gebrüll.
Waisi befreite mich. Sie zerrte mich an einem Arm aus dem Chaos, als wäre ich selbst ein Bündel Äste. Dann setzte sie mich vor sich auf die Erde, mit dem Rücken zu unserem kämpfenden Clan, und fing wie verrückt an, mein Gesicht zu säubern.
»Ich hasse sie!«, zischte sie. »Ich hasse sie alle. Ich hoffe, sie bringen sich gegenseitig um.«
Sie wiederholte das unablässig, bis ich sie anschrie, sie solle damit aufhören.
6
K obo starb.
Noch nie zuvor in der Geschichte von Res Töpferclan hatte ein Töpfer einen anderen so getötet. Wir trauerten nicht nur, wir waren entsetzt. Nicht so jedoch Mutter. Der Zorn strahlte ihr aus allen Poren, wie Stachel eines Stachelschweins. Ich hatte sie noch nie zuvor so wütend erlebt. Nur an Waisi kannte ich dieses Gefühl. Ich begleitete Mutter an dem Abend wie eine Klette, fasziniert von ihrer Wut.
Es wurde Nacht. Der Leichnam und die Astbündel lagen in unserem Hof.
Mutter schlich zum Arbeitsschuppen und schlug die Tür zu, um das Wehklagen von Kobos Angehörigen auszuschließen. Ich folgte ihr. Im Mondlicht sammelte sie das Werkzeug auf, das wir zuvor so sorgfältig arrangiert hatten, und warf es polternd auf den hölzernen Werktisch. Dann kniete sie sich hin, rollte eine Urne aus ihrem Versteck neben einem leeren Regal und riss so energisch den Stopfen heraus, dass das Ploppen klang, als würde ein trockener Ast brechen.
Sie ließ den Korken nicht einfach fallen, sondern schleuderte ihn durch die Luft, und zwar in meine Richtung. Ich duckte mich.
»Komm mir bloß nicht unter die Augen!«, schrie sie. Dann, sich widersprechend: »Hol Wasser!«
Ich huschte zur Zisterne, die sich in der Regenzeit-Ecke des Raumes befand. Es bezeugt, wie sicher ich mir meiner Mutter damals war, dass ich wusste, dass sie den Korken nicht absichtlich auf mich geschleudert, sondern ihn ziellos durch den Raum gefeuert hatte. Und sie schimpfte mich nicht aus, deshalb zitterte ich nicht und weinte auch nicht, als ich die schwere Holzabdeckung der Zisterne herunterhob. Ich beeilte mich jedoch, denn es war nicht nötig, einen Drachenbullen zu reizen, der bereits wütend war.
Während ich im Dunkeln nach dem Schöpfeimer tastete, wühlte Mutter lautstark auf dem Tisch herum.
Ich hörte das Ploppen, als sie einen weiteren Verschluss aus einer Urne zog.
»Wasser, Zarq!«
»Ich finde den Schöpfeimer nicht!« Natürlich nicht. Er war, wie alles andere Tragbare, in der Nacht der Plünderung mitgenommen worden.
»Nimm das hier.« Sie deutete auf die große Terrakotta-Urne, die sie eben geleert hatte.
Sie in die Zisterne hinunterlassen, um sie zu füllen? Wie sollte ich sie wieder herausheben?
»Lass nur, ich mache es schon.« Sie schritt durch einen Strahl des Mondlichts, als sie zu mir kam. Die Flügel von toten Insekten glänzten wie mattierte Perlen in ihrem Haar. Sie roch nach Schweiß, dem bitteren Saft der Schlingpflanzen und Staub, als sie sich bückte und knurrend über den Rand der Zisterne spähte. Wir mussten die schwere gefüllte Urne zu zweit herausheben.
»Wasch dich! Und schlaf hier, nicht im Frauenhaus!«
Da ahnte ich, dass sie vorhatte, die ganze Nacht zu arbeiten.
»Wo ist Waivia?«, fragte sie kühl.
»Ich weiß nicht …«
»Such sie!«
Ich drehte mich gehorsam um, leicht beunruhigt von Mutters brüsker Art.
»Vergiss es! Sie wird uns finden. Wenn sie klug ist.«
»Waisi ist sehr klug«, sagte ich loyal und drehte mich wieder zu ihr herum.
»Sie ist gerissen. Das ist ein Unterschied.« Sie wuchtete die Urne mit Wasser auf den Tisch. Wie durch Magie hatte sie alles ausgelegt, was sie für die Nacht brauchte. Sie nahm den starken, dünnen Draht, der an einem Metallbügel befestigt war: die Bogenharfe.
»Wasch dich!«, befahl sie.
Ich zog gehorsam meinen Bitoo aus. Er
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