Auf Dunklen Schwingen Drachen1
ihnen verschieden war. Damit sie nicht so allein wäre.«
Mutter beugte sich vor und umklammerte mein Handgelenk mit ihren breiten sehnigen Händen. Ihr Atem roch merkwürdig, wie Senf, gemischt mit rohem Eigelb. Ich fragte mich, ob sie vielleicht krank war.
»Sie hätte einen Roidan Kasloo haben sollen, Zarq. Sie brauchte ihn.«
»Ich weiß nicht, was du meinst«, gab ich zurück. »Fruchtwechsel im Garten? Du hast bestimmt nicht genug gegessen.« Das war natürlich dumm, denn selbstverständlich hatte sie nicht genug gegessen. Keiner in unserem Clan hatte genug zu essen gehabt.
Sie zuckte zusammen, doch dann lächelte sie mich plötzlich an. »Du weißt nicht, was ein Roidan Kasloo Mutian ist, heho? Ich meine nicht den Fruchtwechsel im Garten, an den du denkst. Es gibt noch eine andere Art. Die Zeremonie. Ich erkläre es dir, ja?«
Zwischen den Clans, sagte Mutter, fand oft ein sehr wichtiger Handel statt. Noch nicht erwählte, fruchtbare Frauen wurden bei einer Zeremonie, die man Roidan Kasloo , Fruchtwechsel, nannte, gegen Waren ausgetauscht. Wenn nicht genug Frauen zwischen den Clans gehandelt wurden, resultierte das in verkümmerten Kindern, die zu matten Erwachsenen heranwuchsen.
Sie versuchte, mir zwei solcher Frauentausche ins Gedächtnis zu rufen, die während meiner Milchjahre stattgefunden hatten. Offenbar hatte sich eine von Groß Grum Grums Töchtern einem Roidan Kasloo Mutian unterzogen, als ich vier Jahre alt gewesen war; als ich sechs war, waren Kabans Kavarria und Yanzarqs Dash-li bei einem solchen Tausch zum Töpferclan gekommen. Ich war offenbar ein etwas unachtsames Kind, denn ich konnte mich an ein solch plötzliches Auftauchen oder Verschwinden von Frauen nicht erinnern. Mutter fuhr trotz meiner Begriffsstutzigkeit mit ihrer Erklärung fort.
»Am Abend des Roidan Kasloo gibt es eine schöne Zeremonie im Tempel«, sagte sie. »Die Ältesten der beteiligten Clans nehmen daran teil, und auch alle Ältesten, die glauben, sie wissen, was das Beste für eine Frau und ihren Ku ist. Ein Klauevoll Drachenjünger ist ebenfalls dabei, mit ihren Regeln, ihrem Hochmut und ihrem Spott. Der Frauenhandel findet in einem dunklen Raum hinter verschlossenen Türen statt. Dort untersucht der Erste Heilige Hüter sie, ganz allein, betastet sie am ganzen Körper, um sicherzustellen, dass die Qualität der Frau und der Waren ausgeglichen ist.«
Er untersucht sie? In einem dunklen Raum, ganz allein? Ich wurde rot.
»Das Ergebnis einer solchen Untersuchung ist sehr wichtig für den Handel, heho! Sehr wichtig«, wiederholte Mutter. »Es stellt fest, wie gut die Frau ist, wie viel sie für ihren neuen Clan wert ist. Du verstehst doch, wie wichtig das ist?«
Sie betrachtete mich aufmerksam. Ich wusste, dass ich sie enttäuschte, denn ich konnte nur nicken und hoffte, dass mir die Verlegenheit, die ich empfand, als ich von diesem schändlichen Vorgehen hörte, nicht anzusehen war.
»Hör jetzt genau zu, Zarq. Mach die Ohren auf. Es ist nicht ungewöhnlich, dass ein Roidan Kasloo Tage dauert, manchmal sogar Wochen. Die Frau wird sechsmal, manchmal sogar achtmal untersucht. Je mehr Untersuchungen, desto genauer das Urteil, ja? Achtmal ist gut, sehr gut.«
Sie verstummte und wartete auf meine Antwort. Ich wand mich verlegen, während ich überlegte, welchen wichtigen Punkt ich vor Scham überhört hatte.
»Manchmal schwillt der Mond an und schrumpft und schwillt wieder an, bevor ein Urteil erreicht wird.« Mutters Griff um mein Handgelenk verstärkte sich. »So viel Zeit verstreicht, und so viel Streit und Prahlerei findet dabei zwischen den Clanmännern statt, um zu versuchen, den Handel ehrlich zu gestalten, damit die Frau Respekt in ihrem neuen Clan genießt und ein günstiges Urteil von dem untersuchenden Ersten Heiligen Hüter bekommt. Das passiert immer. Immer.«
Die Schlingpflanzen in meinem pochenden Schädel verschwanden, und ich sah klar. Endlich begriff ich, worauf sie hinauswollte.
Waisi war einfach über Nacht getauscht worden.
Das war unüblich, respektlos und extrem schädlich. Meine Schwester würde nicht einmal den niederen Status einer Ebani-Basa bekommen, nicht in ihrem neuen Clan. Oh nein. Obwohl man von ihr verlangen würde, die Männer des Clans zu erfreuen, würde man sie als Kiyu ansehen. Als eine leibeigene Sex-Sklavin.
Sie würde als weniger erachtet werden als ein Mensch.
»Deshalb muss ich mit ihr sprechen«, schloss Mutter. »Sie muss verstehen, dass ich keinen Anteil daran
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