Auf Dunklen Schwingen Drachen1
hatte. Ich habe sie nicht einfach wie einen zerbrochenen Krug weggeworfen.«
»Es klingt nicht so, als hättest du einen Anteil daran, selbst wenn es eine ordentliche Zeremonie gegeben hätte«, erwiderte ich. Meine Scham verwandelte sich in Schärfe, weil mir etwas so Wichtiges über das, was mir selbst in Zukunft zustoßen konnte, ein Roidan Kasloo , erst jetzt mitgeteilt wurde.
Es beschämt mich, wenn ich an diesen Moment zurückdenke, in dem ich nur an meine eigene Zukunft dachte, nicht aber an das Schicksal meiner armen Schwester.
Mutter packte noch fester zu, verdrehte mein Handgelenk; das Unbehagen darüber brachte mich dazu, sie anzusehen.
»Wir müssen sie zurückkaufen, Zarq. Hier wird man sie verachten. Kiyu, meine Waisi! Ich werde es nicht …!«
In diesem Moment stöhnte jemand in den Verschlägen hinter uns. Mutter versteifte sich.
Jemand grunzte, fluchte verschlafen, der Protest einer Frau wurde mit einem scharfen Schlag zum Schweigen gebracht.
Mutter zuckte zusammen, als wäre sie selbst geschlagen worden.
Die schmale Stufe unter uns begann im Takt der Bewegungen in der Hütte zu knarren. Mutter blähte die Nasenflügel und schloss die Augen.
Die Geräusche im Schuppen wurden lauter, mehr, ein nasses Klatschen und ein gutturaler Strom aus kaum verständlichen, heiseren Worten. Noch ein Schlag, schärfer und lauter, und jemand, eine Frau, schrie auf.
Mutters Griff um mein Handgelenk wurde noch fester. Meine Finger liefen rot an, die Spitzen pochten. Sie würden unter den Nägeln aufplatzen, das Blut würde herausschießen …
Plötzlich ein Plumps. Ein heiserer, bebender Seufzer, befriedigt. Dann Stille.
Eine unerträgliche Stille.
Männliche Stimmen in den Verschlägen, gefolgt von bellendem Gelächter. Die Hütte knarrte, als die Tür abrupt aufgestoßen wurde. Mutter und ich sprangen auf und traten zur Seite der Treppe. Sie ließ mein Handgelenk los.
Drei junge Männer verließen die Paarungshütte und kamen die Treppe herunter. Die Tür fiel hinter ihnen zu. Sie waren schlank und muskulös, mit vom Schlaf zerzaustem Haar und von der Liebe geschwollenen Lippen; ihr Schweiß stank nach Moschus und etwas, was mich an Seetang erinnerte. Sie ignorierten uns, blinzelten ins Licht der Morgensonne, marschierten breitbeinig über den Hof und verschwanden hinter einer Ansammlung von Hütten.
Mutter schluckte und starrte ohne zu blinzeln auf die Tür der Paarungshütte. Ich wusste nicht, was ich tun sollte.
Zeit verstrich. Jemand in der Hütte gähnte, so heftig, dass ich das Knacken des Kiefers und den Atemhauch selbst an der Stelle hörte, wo ich stand. Dann folgte ein kurzes Gespräch zwischen … zwei Frauen? Oder dreien?
Die Tür öffnete sich knarrend. Drei Frauen kamen heraus. Ich wartete auf die vierte, auf Waisi, bis ich erschreckt bemerkte, dass die dritte Frau meine Schwester war.
Aber wie anders sie aussah! Sie war größer und schlanker, als hätte sie sich gestreckt und könnte sich jetzt nur noch zusammenhalten, indem sie ihre Schultern zusammenzog und mit vorsichtigen, genauen Schritten ging. Ihre Arme waren von blauen Flecken übersät, ihre Oberlippe aufgeplatzt und blutig. Ihre Augen waren halb geschlossen und geschwollen. Mutter schrie auf, machte einen Schritt nach vorn und breitete die Arme aus. Waisi blickte hoch.
Und blieb wie angewurzelt auf der Treppe stehen.
»Was willst du hier?«, fauchte sie.
Die beiden anderen Frauen huschten eiligst davon.
»Verschwindet, los, verschwindet von hier!« Waisi wedelte hektisch mit den Händen, als würde sie versuchen, wilde Hunde zu verscheuchen.
»Waivia, lass es mich erklären …«, begann Mutter, aber Waisi trampelte die dünnen Stufen herunter und baute sich vor Mutter auf, zitternd und erschauernd, als müsste sie sich übergeben.
»Wie konntest du mir das antun?«, stammelte sie; das war es, was mich am meisten schockierte. Nicht die Prellungen oder das Blut, sondern diese wilde Zerbrechlichkeit.
»Ich wusste nicht, dass sie es tun wollten. Ich hatte keine Ahnung, nicht die geringste«, stieß Mutter hervor und streichelte die Luft nur Zentimeter von Waisis Armen entfernt, als wären die zu zerbrechlich, als dass sie sie hätte berühren können.
»Ich kauf dich zurück …«
»Das hat mir gerade noch gefehlt, als Bastard einer Djimbi-Hure verschrien zu werden«, stieß Waisi wütend hervor. »Und jetzt verschwindet hier, los!«
Sie stieß Mutter weg, legte ihr tatsächlich die Hände auf die Schultern und
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