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Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt

Titel: Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giovanni di Lorenzo Helmut Schmidt
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energisch.
    Aber die deutschen Beiträge der letzten 35 Jahre wiegen die 200 Jahre davor nicht auf.
    Ist diese Vergangenheit im Kollektivgedächtnis der Polen so tief verankert?
    Nicht nur im Kollektivgedächtnis der Polen. Es gibt auch im kollektiven Gedächtnis der Deutschen immer noch einen Rest von deutschen Überlegenheitsgefühlen, von Herabsehen auf die Polen.
    Die »polnische Wirtschaft«?
    Ja, das ist eines der Vorurteile.
    Welcher Pole hat Sie am meisten beeindruckt?
    Wahrscheinlich Papst Wojtyla.
    Haben Sie schon einmal von dem Dichter Adam Mickiewicz gehört?
    Ja – ich kenne seinen Pan Tadeusz.
    Das unterscheidet Sie von den meisten Deutschen.
    Kann so sein. Es hängt damit zusammen, dass ich als Schüler ein bisschen polnische Literatur lesen konnte. Vor allem hängt es damit zusammen, dass ich fünf Jahre lang Präsident des Deutschen Poleninstituts gewesen bin. Dieses Institut hat dank der Arbeit von Karl Dedecius sehr viel dafür getan, dass polnische Literatur in Deutschland bekannt gemacht wurde.
    Rechtfertigt die Schuld, die die Deutschen auf sich geladen haben, das gegenwärtige Verhalten der beiden Kaczy ń ski-Brüder?
    Das müssen wir ertragen, ob es gerechtfertigt ist oder nicht. Sie reden so, wie es ihrem Geschichtsbewusstsein entspricht.
    Kann man jeden Unsinn aus der Geschichte erklären?
    Nicht nur die beiden Kaczy ń skis, sondern auch manch andere Polen haben ein Nachholbedürfnis nach Ausleben ihres Nationalismus. Jedenfalls muss man mit ihnen reden.
    Was würden Sie einem Deutschen empfehlen, der Polen kennenlernen und verstehen möchte?
    Wenn es sich um einen erwachsenen Menschen handelt, würde ich ihm raten, als Tourist Danzig zubesuchen oder Krakau oder die Marienburg, um zu sehen, mit welcher Liebe die Polen ihre jahrhundertealten Gebäude wiederhergestellt haben. Wenn es sich um einen jungen Studenten handelt, würde ich ihm empfehlen, zwei Semester in Polen zu studieren.

    2. August 2007

[ Inhalt ]
    Einmal die Woche Fleisch
    Der Wert von Lebensmitteln
    Die Deutschen sind in Sorge, weil die Milch teurer wird.
    Die Aufregung über die Milchpreise ist nicht ganz leicht zu verstehen. In Nortorf in Holstein zum Beispiel, wo wir einmal in der Woche einkaufen, weil wir im Sommer am Brahmsee wohnen, sind die Milchpreise noch nicht gestiegen.
    Sie kaufen selbst noch ein?
    Ab und zu fahre ich mal mit. Aber meine Frau kauft selbst ein.
    Wissen Sie, was ein Liter Milch kostet?
    (überlegt lange) Ich weiß es nicht, ich wusste es mal. 1,18 Euro, glaube ich.
    1,19 Euro kostet der Liter im Reformhaus. Bei Aldi sind es 62 Cent.
    Ich wusste es nicht.
    Vor 40 Jahren hat ein Haushalt in Deutschland im Schnitt ein Drittel des Einkommens für Lebensmittel aufgewendet. Heute ist es nur noch ein Zehntel. Haben wir das Gespür für den Wert von Nahrungsmitteln verloren?
    Hoffentlich nicht! Vor 50 Jahren hat kein Haushalt Geld für Fernsehen ausgegeben, kein Geld für Benzin, denn man hatte kein Auto. Der steigende Wohlstand hat dazu geführt, dass die Ausgaben eines Privathaushalts sich verlagert haben – zum großen Teil auf Güter, die damals völlig unerreichbar gewesen wären.
    Ihre Generation hat den Hunger erfahren, zumindest die Knappheit. Wie oft in der Woche gab es bei Ihnen Fleisch, als Sie noch ein Kind waren?
    Einmal.
    Und an den anderen Tagen?
    Kartoffeln und Gemüse.
    Sind Sie satt geworden?
    Ja, ich ja.
    Sie betonen das ich.
    Weil es Nachbarn und Freunde gab, die tatsächlich oft nicht satt geworden sind.
    Womit konnte man Ihnen damals beim Essen eine Freude machen?
    Mit Pudding oder roter Grütze.
    Die steigenden Lebensmittelpreise treffen auch heute die, die wenig Geld haben. Sollte der Staat dafür nicht mehr Unterstützung geben?
    Nein.
    Das sagen Sie als Sozialdemokrat? Gibt es etwa keine Fürsorgepflicht des Staates gegenüber den Armen?
    Natürlich gibt es eine Fürsorgepflicht des Staates. Aber in Deutschland hungert ja keiner, weil die Lebensmittel zu teuer wären.
    Aber weil er zu wenig Geld zur Verfügung hat.
    Nein; wenn einer hungert, dann weil seine Familie ruiniert ist und er oder sie oder das Kind alleine vegetieren und niemand für sie sorgt. Dann kann Hunger vorkommen. Es ist keine Aufgabe des Staates, durch staatliche Verbilligung der Lebensmittel zu helfen.
    Aber vielleicht durch zusätzliche Hilfen für Hartz-IV-Empfänger bei Grundnahrungsmitteln.
    Ich finde die deutsche soziale Vorsorge im Prinzip gut und richtig. Da wird nicht die Milch oder das vitaminhaltige

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