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Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt

Titel: Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giovanni di Lorenzo Helmut Schmidt
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der halb gebildete Dorfmagister.« (lacht)
    Der Schrift nach ist der Absender 103 Jahre alt.
    Nein, das glaube ich nicht. Mal sehen: Der steht da mit voller Adresse. Hier schreibt mir ein anderer Autor: »Große Schnauze, aber zu dumm, seine Lichtrechnung zu lesen!« (lacht) Und da schreibt einer an meine Frau: »Ihr Mann – ein Oberprolet und politischer Strauchdieb.« Ist doch hübsch. Und hier verlangt ein Mann die »sofortige Suspendierung ohne Pension und Einleitung eines Strafverfahrens wegen Betruges am Volke«. Ist auch schön! Inzwischen habe ich festgestellt, dass im Archiv der Ebert-Stiftung in Bonn dreizehn Ordner mit solchen Schimpfbriefen stehen.
    Bekommen Sie diese Briefe denn normalerweise zu Gesicht?
    Die werden in der Regel aussortiert, die Masse davon habe ich nie gesehen. Schimpfbriefe werden ignoriert. Aber alle anderen, die im Ton anständig sind, bekommen eine Antwort. Auch wenn mich der Absender zum Versager erklärt.
    Man darf Sie »Versager« schimpfen?
    Solange es keine Verbalinjurien sind, kann man mich in Grund und Boden kritisieren. Das meiste ist doch sehr lustig! Zum Beispiel die naive Empörung über diesen »Schweinehund« Schmidt.
    Glauben Sie, dass in Schmähungen auch immer ein Fünkchen Wahrheit enthalten ist?
    Ja, da ist oft ein Fünkchen Wahres drin. Es ist übrigens sehr interessant zu sehen, dass manche Leute anonym schreiben und andere auf einem gedruckten Briefbogen, mit ihrer Adresse und ihrem Beruf als Mechanikermeister oder selbstständiger Unternehmer. Wir haben auch schon Briefe bekommen, in denen tatsächlich Exkremente waren.
    Haben Sie je gegen einen Briefeschreiber geklagt?
    Das habe ich niemals getan.
    Können Sie sich an die Schmähung eines politischen Gegners erinnern, die Ihnen wehgetan hat?
    Wehgetan eigentlich nicht, weil ich ja im Bundestag immer Gelegenheit hatte zurückzuschlagen.
    Fanden Sie es denn in Ordnung, dass die ZEIT den Kanzler Helmut Kohl mit einer Kolumne namens »Birne« bedachte?
    Das habe ich vergessen. »Birne« ist zweifellos herabsetzend gemeint, ich habe den Ausdruck nie benutzt.
    Ich kann mich heute noch aufregen über die Schmähung Willy Brandts als »Herbert Frahm«. Sie zielte auf seine Herkunft als uneheliches Kind.
    Ja, das geht leider auf den großen Konrad Adenauer zurück.
    Wissen Sie, ob Brandt das verletzt hat?
    Ich habe mit ihm nicht darüber geredet, aber es war für mich völlig klar, dass ihn das verletzen sollte – und auch verletzt hat.
    Was für eine unglaubliche Sauerei!
    Politik ist eben auch ein Wettkampf um die Gunst des Volkes, und in diesem Wettkampf sind Verstöße gegen Anstand und Fairness ziemlich häufig. Das ist vielleicht sogar entfernt vergleichbar mit einem Krieg zwischen Staaten. Jeder Krieg führt zu Brutalisierung auf beiden Seiten. Der Meinungskampf in einer Demokratie führt zwar nicht notwendigerweise zu Brutalisierung, aber doch zu einer Vielzahl von Regelverletzungen. Anders als beim Fußball gibt es keinen Schiedsrichter, der einen Strafstoß verhängt.
    Das kann nur der Wähler?
    Das kann nur der Wähler – wenn er denn das Foul begreift.

    27. November 2008

[ Inhalt ]
    Mit Tempo 104 nach Bonn
    Übers Autofahren
    Lieber Herr Schmidt, können Sie sich noch an Ihr erstes Auto erinnern?
    Ja, es war ein alter VW Käfer mit durchgerostetem Bodenblech. Wenn man bei Regenwetter durch eine Pfütze fuhr, schoss ein Wasserstrahl durch ein Loch genau auf den Bauch und ins Gesicht des Fahrers. Der Käfer war wohl 1935 oder 1936 gebaut worden, und ich habe ihn 1953 für meinen ersten Wahlkampf zum Bundestag für ein paar Hundert Mark gekauft.
    Als Sie dann Bundestagsabgeordneter wurden, haben Sie in Bonn gearbeitet und in Hamburg gewohnt. Sind Sie mit dem Auto gependelt?
    Ja, mit meinem zweiten Wagen, den ich mir ein paar Monate später gekauft habe. Das war ein gebrauchter Mercedes Diesel.
    So ein schöner runder?
    Ja, mit einem Ersatzreifen hinten am Heck angeschraubt. Der Wagen kostete damals 5000 Mark, und die hatte ich nicht. Also bin ich zu dem mir gut bekannten Chef der Norddeutschen Bank, Karl Klasen, gegangen, der sehr viel später Vorstandssprecher der Deutschen Bank und Präsident der Bundesbank wurde. Ich sagte: Herr Klasen, ich muss mir ein Auto kaufen, habe das Geld aber nicht. Der Wagen kostet 5000 Mark,können Sie mir einen Personalkredit über die Summe geben? Da hat er mich mit seinen blauen Augen angeguckt und gesagt: Ja, das machen wir. Jetzt musste ich aber den Kredit abstottern,

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