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Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt

Titel: Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giovanni di Lorenzo Helmut Schmidt
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wahr. Sie sind jedenfalls seichter.
    Finden Sie es denn in Ordnung, das Fernsehprogramm zu kritisieren, wenn man es, wie Reich-Ranicki oder wie Sie, eigentlich gar nicht kennt?
    Ich habe es nie öffentlich kritisiert. Als Kanzler habeich einmal empfohlen, an einem Tag in der Woche den Stecker rauszuziehen und nicht fernzusehen, sondern miteinander »Mensch ärgere Dich nicht« zu spielen oder Musik zu machen oder sich vorzulesen und sich über das Vorgelesene zu unterhalten. Das haben die Fernsehleute mir damals sehr übel genommen.
    Haben Sie denn selbst nie das Bedürfnis, gelegentlich etwas Seichtes zu konsumieren?
    Nein. Sie können es als seicht bezeichnen, wenn ich abends am Klavier sitze und vor mich hin fantasiere.
    Können Sie sich an »Kuli« erinnern, der Sozialdemokrat war, an Hänschen Rosenthal oder Peter Frankenfeld?
    An Frankenfeld ja, an Rosenthal schwach; Kulenkampff habe ich mir für ein paar Minuten angeschaut und dann wieder ausgeschaltet.
    Haben Sie auch nie Trivialliteratur gelesen?
    Nicht einmal zum Einschlafen.
    Sie verblüffen mich immer wieder!
    Wieso?
    Weil es schier unglaublich klingt, dass jemand so konsequent ist.
    Das ist keine Konsequenz, sondern eine Frage des Geschmacks – und der Zeitökonomie.
    Haben Sie sich nicht einmal auf einem Langstreckenflug einen Spielfilm gegönnt – einen guten James Bond zum Beispiel?
    Sicherlich nicht bis zum Ende – eine Viertelstunde vielleicht. Ansonsten habe ich auf Reisen immer Bücher oder Aufsätze dabei, die ich eigentlich schon seit Langem lesen wollte.

    6. November 2008

[ Inhalt ]
    »Auf der Universität habe
ich nur wenig gelernt«
    Über Bildung
    Lieber Herr Schmidt, Sie haben mir mal erzählt, dass Sie ein relativ fauler Schüler gewesen seien. Dürfte man so etwas heute, in der Bildungsrepublik Deutschland, überhaupt noch sagen?
    Sagen darf man das. Schüler dürfen auch faul sein, wenn sie ansonsten etwas leisten.
    Nun stand der Leistungsgedanke an der Reformschule, die Sie selbst besucht haben, nicht so im Vordergrund. An Ihrer Lichtwarkschule waren drei Dinge wichtig: selbstständiges Arbeiten, Charakterbildung und Musik.
    Und viertens der Sport, der damals Turnen hieß. Jeden Tag eine Stunde. Das hatte mit Wehrertüchtigung übrigens nichts zu tun.
    Was war Ihr erster Eindruck von der Schule, als Sie dort hinkamen? Die Volksschule, auf der Sie vorher waren, war sicherlich noch wilhelminisch geprägt.
    Und wie: In der Volksschule habe ich noch eine Sedanfeier erlebt, da wurde der Sieg von 1870 gefeiert!
    Wurde da auch noch geschlagen?
    Ja, mit dem Rohrstock und mit Lederhandschuhen links und rechts ins Gesicht.
    Und an der neuen Schule?
    Die Lichtwarkschule war ganz anders! Überraschend war, dass man auf Stühlen und an Tischen saß – und nicht auf Schulbänken. Und außerdem gab es in der Klasse auch Mädchen, das war etwas ganz Neues für mich. Ich hatte ja noch nie mit einem Mädchen zu tun gehabt. Eine Cousine gab es, die hatte ich aber nur einmal von Weitem gesehen. Bisher hatte ich auf der Straße und in der Schule immer nur mit Jungs gespielt.
    Wie wirkten diese komischen Wesen auf Sie?
    Ein bisschen anders. Ich habe mich schon im ersten Schuljahr auf der Lichtwarkschule mit Loki befreundet, da war ich zehn. Aber nicht, weil sie ein Mädchen war, sondern aus Gründen der Sympathie – ich weiß nicht, wie so etwas bei Kindern zustande kommt. Sie hatte etwas zu bieten, sie war intelligent und neugierig.
    Loki hatte auch Eigenschaften, die Jungen haben können: Sie war burschikos und schlug sich oft.
    Wahrscheinlich, ja.
    Und wie war es, plötzlich auf Stühlen zu sitzen?
    Ich hätte es damals nicht so sagen können, aber es war natürlich ein Erlebnis der Freiheit. Man war nicht in die Bank gezwungen, auf Drill wurde kein Wert gelegt.
    Wie sind Sie mit dieser Freiheit zurechtgekommen?
    Ich war vorlaut.
    In welcher Phase Ihres Lebens haben Sie denn am meisten gelernt?
    Ich habe eigentlich seit Kriegsende immer nur gelernt.
    Ihre Schul- oder Studienzeit war also dafür gar nicht so entscheidend?
    Nein, in keiner Weise. Während meiner Studienzeit habe ich auf der Universität nur wenig gelernt. Ich habe nach dem Krieg unendlich viele Bücher gelesen – neben dem Studium. Und ich habe gejobbt, wie man heute sagt: Meistens habe ich für Einzelhändler oder Tankstellenpächter die Steuererklärung gemacht.
    Warum setzt sich ein Lichtwark-Schüler heute für eine möglichst kurze Studienzeit ein?
    Das hat mit der

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