Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt
als die politische Führung.
Vorläufig bin ja nur ich derjenige, der das behauptet.
Aber es trifft durchaus zu, und das ist begrüßenswert. Ratlosigkeit ist natürlich ein großes Problem: Die politische Führung in Amerika ist zurzeit abwesend – die alte Regierung hat keine Autorität mehr, die neue gibt es noch nicht. In Euro-Land dagegen haben die zur gemeinsamen Währung gehörigen nationalen Regierungen und die Europäische Zentralbank am 12. Oktober ein gemeinsames Paket von wichtigen Schritten beschlossen, die jetzt erfolgen werden.
Sie handeln also durchaus effektiv!
Ja. Allerdings wird in der gegenwärtigen Situation leider deutlich, dass die Europäische Union mit 27 Mitgliedern noch ohne Führung ist. Für alle über die Bewältigung der jetzigen Notsituation hinausgehenden späteren Schritte wird man nicht nur die ganze EU brauchen, sondern vor allem die USA, China, Russland, Indien, Japan, die OPEC und so weiter. Die Weltwirtschaft braucht global geltende Regeln und Aufsicht für den Geld- und Kapitalverkehr, für alle Verkehrsteilnehmer und für alle von ihnen in Verkehr gebrachten Finanzinstrumente.
Sie glauben aber, dass Führung durchaus möglich wäre, auch in dieser katastrophalen Lage?
Zumindest die Führung derjenigen Länder, die sich zur Euro-Währung zusammengeschlossen haben, ist möglich, und sie funktioniert auch. Sie sollte international die Initiative ergreifen.
In Deutschland gibt es unfassbar hohe Spareinlagen. Wie erklären Sie sich, dass die Leute gerade jetzt, wo das Geld auch entwertet werden könnte, daran festhalten, statt es für wertvolle Dinge auszugeben?
Psychologisch durchaus verständlich; denn die Menschen brauchen ihre Spareinlagen ja für später. Ein heute neu gekauftes Auto kann man dann nicht essen.
Was ist Ihre größte Angst in diesen Tagen?
Ich habe keine Angst.
Und Ihre größte Sorge, wenn Sie auf die Wirtschaft blicken?
Jetzt kommen wir an die Grenze dessen, was man in einem kurzen Zigarettengespräch erörtern kann.
Fühlen Sie sich nicht in Ihrer Kritik an den Bankern bestätigt?
Ich teile die Menschheit in drei Kategorien ein: Zur ersten Kategorie gehören wir normalen Menschen, die irgendwann in ihrer Jugend mal Äpfel geklaut oder im Supermarkt einen Schokoriegel in die Tasche gesteckt, sonst aber nicht viel ausgefressen haben. Die zweite Kategorie von Menschen hat eine kleine kriminelle Ader. Und die dritte besteht aus Investmentbankern, bisher weitgehend legale Übeltäter.
23. Oktober 2008
[ Inhalt ]
Eine Viertelstunde James Bond
Bildung und Unterhaltung
im Fernsehen
Lieber Herr Schmidt, haben Sie mitbekommen, dass Marcel Reich-Ranicki den Deutschen Fernsehpreis abgelehnt hat?
Ja, habe ich. Wussten die vorher, dass er den Preis auf diese Weise ablehnen wollte?
Nein, im Gegenteil! Er sollte ja den Ehrenpreis für sein Lebenswerk erhalten, und man dachte, er würde sich geschmeichelt fühlen – und dann dieser Eklat.
Im Prinzip hat er das gut gemacht! (Lacht)
Wie ich Sie kenne, wären Sie an seiner Stelle zu keinem anderen Urteil gekommen.
Das weiß ich nicht. Ich weiß auch nicht, ob diese Preisverleihung anders war als die vorangegangenen. Ich weiß nur, dass das meiste, was auf unseren Fernsehschirmen geboten wird, so ist, dass ich es nach wenigen Minuten abschalte.
Würden Sie generell von einem Niveauverfall des Fernsehens sprechen?
Das würde ich nicht tun, denn Verfall setzte ja voraus, dass es vorher ein höheres Niveau gegeben hat. Es gibt zwar immer noch das Bildungsfernsehen, aberdie Mehrheit der Fernsehkanäle liegt auf einem Niveau etwas unterhalb des Großteils der Boulevard-Zeitungen.
Glauben Sie wirklich, dass es sinnvoll wäre, die Zuschauer mit Bildungsfernsehen erziehen zu wollen?
Es kommt darauf an, wer man ist: Als Regierung sollte man mit Volkserziehung vorsichtig sein; als Fernseh-Chefredakteur oder Intendant hat man diese Aufgabe durchaus.
Von den öffentlich-rechtlichen Sendern kann man das vielleicht verlangen, denn sie bekommen Gebühren. Wer aber wie die Privaten auf Werbeeinnahmen angewiesen ist, der braucht auch massenhaft Zuschauer.
Richtig. Wie im alten Rom. Das Publikum, das sich zu Zehntausenden im Kolosseum versammelte, fand es unterhaltsam, wenn sich dort Leute gegenseitig umbrachten oder Menschen von Tieren zerfleischt wurden.
Dann gibt es doch so etwas wie einen zivilisatorischen Fortschritt: Ganz so schlimm wie im alten Rom sind selbst unsere schlimmsten Programme nicht.
Das ist
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