Auf ewig und einen Tag - Roman
Baumwollhemd, zogen ihn näher und schoben ihn gleichzeitig weg. Wörter rasten mir durch den Kopf wie ein verrücktes Mantra. Jetzt, jetzt, jetzt. Er zog das Kissen zurück und sah mir in die Augen. Die Wörter verstummten, die Zeit stand still, er beugte sich nahe zu mir hinab. Ich konnte seinen Atem auf meinem Gesicht spüren.
Die Tür ging auf. »Kerry?«, rief Mrs. Caine.
Justin fuhr zurück. Verblüfft blieb ich in dem hellen Lichtschein liegen.
»Kerry, du musst jetzt heimgehen. Justin, warum bringst du sie nicht nach Hause?«
Justin sprang auf, außer Atem. »Alles in Ordnung, Ma?«
Sie schüttelte den Kopf. »Da warten Leute auf dich, Kerry. Da sind Leute, die es dir erklären können.«
Weinte sie? Ich setzte mich auf und starrte sie an, überzeugt, diesen Traum schon einmal gehabt zu haben. Eine Fantasie, die sich kurz vor dem Aufwachen in einen Albtraum verwandelt hatte.
Aber sie fühlte sich real an, als sie mich in die Arme nahm und meinen Kopf an sich drückte. »Es wird schon gut«, sagte sie. »Ich verspreche dir, dass alles gut wird.«
Diese Worte sind sicher schon bei unzählig vielen verschiedenen Gelegenheiten gesagt worden. Aber ich kann Ihnen versichern, dass sie immer eine Lüge sind.
3
Es wäre leichter gewesen, wenn wir eine ältere Schwester als Stütze gehabt hätten, oder eine jüngere, um die wir uns hätten kümmern müssen. Aber es gab nur Eve und mich, und wir spendeten uns gegenseitig genauso wenig Trost, wie wir uns selbst trösten konnten. Wir hielten einander wortlos fest und schliefen im selben Bett, wie wir es vor Jahren getan hatten. Jeden Morgen, bevor ich die Augen öffnete, erwartete ich, Daddy in der Küche klappern zu hören, zu hören, wie er undeutlich durch seinen Bart »Sweet Molly Malone« pfiff. Verwirrt lag ich im Bett, genauso wie man sich fühlt, wenn man an einem unbekannten Ort aufwacht. Verquere Gedanken schwirrten mir im Kopf, die sich langsam ordneten.
Leute gingen ein und aus. Alle kamen, angefangen von Ginger Deans sechs Wochen alter Tochter bis hin zu Emmeline Sugar, die bei uns als die älteste Frau der Welt galt. Ich stellte mir vor, wie sie in einer Reihe standen, die von unserer Tür die ganze Straße hinunter reichte, alle in Schwarz gekleidet und mit Schirmen wie das Kindermädchen in Mary Poppins.
Justin kam und setzte sich zu uns, ohne Fragen zu stellen oder die üblichen Plattitüden von sich zu geben. Er saß einfach bei uns, die Arme um unsere Schultern gelegt, wir starrten an die Wand, dachten an nichts und teilten unseren Schmerz durch drei.
Briefe kamen, zuerst Kondolenzkarten und dann Geld in
ominösen braunen Umschlägen ohne Absender, die auf unserer Türschwelle lagen. Zwanzig Dollar hier, zehn Dollar da. Wir stellten uns eine Nachbarin vor, eine der älteren Frauen mit wässrig-blassen Augen, die voller Mitleid, aber auch demonstrativ die Vorderstufen unseres Hauses hinaufhastete.
Unsere Großeltern kamen aus West Virginia, unsere Großeltern, die Daddys Heirat und später seine Scheidung missbilligt und uns seit fast zehn Jahren nicht mehr gesehen hatten, wollten, dass wir sie Bert und Georgia nannten. Ohne nach unserer Meinung zu fragen, hatten sie entschieden, dass wir sie nach West Virginia zurückbegleiteten, nachdem der erste Schock vorbei und alles geregelt sei. Das schmiedete uns noch mehr zusammen und bestärkte uns darin, hierzubleiben.
Wir hörten sie reden, Bert und Georgia, hörten sie flüstern, und erfuhren so die Wahrheit über Daddys Tod. Die Worte, die sie benutzten, waren leichtsinnig und versoffen . Er war auf seinem Boot gewesen. Er hatte getrunken. Und sie gaben für alles uns die Schuld, das wussten wir, sahen es an ihrem abschätzigen Blick und hörten es an ihrem Tonfall.
Sie sagten uns auch, dass sie einen Detektiv engagiert hätten und nach unserer Mutter suchten. Und wochenlang, bis die Zeit alle Illusionen ausradierte, klammerten sich Eve und ich an die Hoffnung, dass sie jetzt, da wir sie wirklich brauchten, auch zurückkommen würde.
Am Tag nach dem Begräbnis kam der First Warden, der höchste Repräsentant der Insel, mit einem braunen Umschlag, der Daddys Habseligkeiten enthielt. Eve starrte ihn mit vor Angst aufgerissenen Augen an. Diese Dinge waren noch am Körper unseres Vaters gewesen, als er schon tot war! Aber ich öffnete den Umschlag und zog Daddys Timex heraus, hielt sie
an die Wange und streifte sie über mein Handgelenk. Dann seine vom Meerwasser gebleichte Brieftasche, die
Weitere Kostenlose Bücher