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Auf ewig und einen Tag - Roman

Titel: Auf ewig und einen Tag - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Joy Arnold Angelika Felenda
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finden könnte, aber tatsächlich bin ich weit entfernt von Frieden. Ich hab weder die Zeit noch die Kraft dafür, und außerdem, wen kümmert’s, wenn ich tot bin?« Sie machte mit dem Kopf ein Zeichen auf eine Stelle hinter mir. »Wenn man vom Teufel spricht.«
    »Liebling?«
    Ich blickte auf - da war er. Alles stürzte mit einem Mal auf mich ein. Hunderte Erinnerungen schossen mir gleichzeitig durch den Kopf: die Nachmittage, als er uns Geschichten erzählte, Geheimnisse, zugeraunt oder stumm, die Nacht, als ich ihm zum ersten Mal sagte, dass ich ihn liebte, und jene letzte Nacht, als ich die Sinnlosigkeit von Liebe erkannte.
    Justin errötete, und sein Blick schien sich zu verfinstern. Alles, was ich in Eves Gesicht hätte sehen müssen, sah ich in seinem: den Schmerz, die Freude, die bittere Reue. Er hob die Hände,
blickte von mir zu Eve und wieder zurück und trat dann auf mich zu, um mich in die Arme zu nehmen.
    Ich atmete seinen Geruch ein - Holz, Moos und Kiefer -, als könnte er die Düsternis vertreiben, die mich benommen gemacht hatte. Von ihm wollte ich mir nehmen, was ich von Eve gebraucht hätte, aber ich spürte ihren Blick auf meinem Rücken. Ich löste mich von ihm.
    Eves Gesicht war angespannt, während sie uns beobachtete, und ihre Augen rot von den Tränen, die sie bei der Begrüßung nicht vergossen hatte. Und plötzlich begriff ich, dass sie Angst hatte.
     
    Eve saß, gegen die Wand gekauert, im Bett, ihre Gesichtszüge waren erschlafft, und ihre Augen wirkten glasig wie die schwarzen Knöpfe in den Köpfen von Stofftieren. »Einen Moment«, sagte Justin. Er küsste Eves Schläfe, dann hob er sie hoch, als würde er ein Kind hochheben, und bettete sie aufs Kissen.
    »Sie wird manchmal so«, sagte er, »als wäre sie zu müde, um die Augen zu schließen. Das ist das Morphium. Sie nimmt mehr, als sie braucht, weil es leichter ist, einfach zu schlafen.«
    »Mein Gott, Justin.« Wie würde ich es nur aushalten, hier zu sein? Konnte ich einfach abschalten und vergessen, wer ich einmal und wer sie gewesen war?
    »Deshalb hab ich das Bett hier unten aufgestellt. Ihr wird schwindlig beim Treppensteigen, und vor einem Monat ist sie gestürzt. Aber ich hasse es, unseren Hobbyraum dafür zu benutzen, es ist wie eine ständige Mahnung. Nicht dass wir die bräuchten - ich meine, sieh sie dir an.«
    Ich sah zu, wie er sie in die Laken wickelte und gegen den Druck ankämpfte, der sich in Tränen Luft zu machen drohte.

    Da er mir das Profil zuwandte, konnte ich ihn zum ersten Mal genau betrachten. Am Anfang hatte ich gedacht, er sei unverändert, dieselben vollen Lippen, dieselben Augen mit den schweren Lidern. Aber es gab Kleinigkeiten, die mich irritierten, weil sie nicht passten: die Grübchen, die sich zu tiefen Linien um seinen Mund ausgedehnt hatten, das leichte Grau an seinen Schläfen und eine Art gedämpfter Intensität in den Augen, eine Distanziertheit. Es zehrte an mir, das zu sehen, ließ den Wunsch in mir aufkommen, ihn zu berühren, aber gleichzeitig auch, mich abzuwenden. Er strich mit der Hand über Eves Augen, um sie zu schließen, und sein Gesicht wurde rot vor Schmerz und Liebe. Ich konzentrierte mich auf die hässlichen Stahlgitter an Eves Bett, damit ich mir wegen der Klammer um meine Brust keine Rechenschaft ablegen musste.
    »Komm«, sagte Justin. »Wir trinken eine Tasse Tee.«
    Ich saß am Küchentisch, als Justin einschenkte, und starrte an die Wand, wo noch immer Buntstiftzeichnungen hingen, die jetzt aber den Namen von jemand anderem trugen. Ich studierte die Signaturen, als könnten sie mir etwas über das Mädchen verraten. Kindergartengekritzel, eine Schrift mit großen Schleifen, Gillian , über dem ersten i ein Herz. Ich spürte Justins Blick auf mir, wollte ihn aber nicht ansehen, weil es mir keine gute Idee zu sein schien, Blicke auszutauschen. Ich fröstelte und legte die Hände um die warme Tasse.
    »Es ist gut, dass du dich entschieden hast zu kommen«, sagte er schließlich. »Sie braucht dich hier.«
    Und dann kamen mir doch die Tränen. Ich wandte mich ab und versuchte, wieder gleichmäßig zu atmen. »Sieht nicht so aus, als bräuchte sie jemanden«, erwiderte ich.
    Vorwurfsvoll zog er die Augenbrauen hoch.

    Ich atmete den Dampf aus meiner Tasse ein und ließ ihn auf meiner Nase und meinen Lidern kondensieren. »Ich weiß nicht, was ich für sie tun soll. Ich kenne sie nicht mehr.«
    »Die Tatsache, dass du gekommen bist, reicht aus, zumindest für den Anfang.

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