Auf ewig und einen Tag - Roman
Sie muss wissen, dass alles verzeihlich ist, was sie getan hat, bevor sie sich selbst verzeihen kann.«
»Es ist nicht verzeihlich, Justin. Ich kann trotzdem hier sein, aber für mehr hab ich nicht genügend Größe, schätze ich.«
Justins Miene schien sich zu verdüstern. »Sie war eine gute Ehefrau, Kerry, eine großartige Mutter. Du musst dich davon lösen, genau wie sie es tut. Sie ist deine Schwester, um Himmels willen.«
»Das schreiben wir auf ihren Grabstein: Eve Barnard-Caine, gute Ehefrau, großartige Mutter, und sie war auch eine Schwester.«
Die Haustür ging knarrend auf, und das Geräusch von stampfenden Schritten ertönte.
Justin sah mich an, dann rief er: »Hier drin, Gillie.«
Schritte kamen den Gang hinunter und hielten vor dem Hobbyraum an. Ich stellte mir vor, wie Gillian dort stand und ihre Mutter ansah, vielleicht die Hand ausstreckte, um sie zu berühren.
Die Schritte näherten sich der Küche. »Hey, Daddy, ich wollte …« Sie blieb wie angewurzelt stehen, und eine Sekunde lang sah ich sie als das, was sie war: ein schönes elfjähriges Mädchen mit weisen Augen. Doch als sie mich ansah, veränderte sich ihr Ausdruck, zerfloss, wurde zu dem jüngeren Kind auf den Buchumschlägen von Justins Romanen, zu dem Bild, das ich im Kopf hatte.
Ihre Nase rötete sich leicht, sie begann zu zittern, und ihre Hände öffneten und schlossen sich immer wieder, dann rannte
sie mit einem Schluchzen auf mich zu und vergrub das Gesicht an meiner Brust. Ich sah zu Justin auf, geschockt, dann legte ich die Arme um sie und wiegte ihren Körper. Ich konnte kaum atmen, war ganz benommen vor Liebe für dieses Mädchen, das ich noch nie gesehen hatte, und klammerte mich an sie, als könnte sie mich retten, dieses Geschöpf aus der Verbindung von Eve und Justin - und mir.
Über ihre Schulter hinweg blickte ich Justin ins Gesicht. Er hielt die Faust an den Mund gepresst und beobachtete uns ängstlich.
Plötzlich riss sich Gillian los und wich zurück. Verwirrt wanderte ihr Blick von mir zu Justin und wieder zu mir. Sie öffnete den Mund, als wollte sie etwas sagen, drehte sich dann schnell um und lief hinaus.
»Gillie?« Justin ging ihr nach. »Süße?«
Ich folgte ihnen wie betäubt, als läge eine dicke Pelzschicht über mir, und sah zu, wie Gillian aufs Bett ihrer Mutter kletterte, sich wie ein Baby zusammenrollte und den Kopf an Eves Brust legte. Justin beobachtete sie, hochrot im Gesicht, und trat dann zögernd hinzu, um die beiden zuzudecken.
Ich blieb so lange stehen, wie ich es aushalten konnte, und zog mich dann wieder in die Küche zurück. Nicht mehr, hallte ein Echo durch meinen Kopf, wie ein Singsang, wie eine Warnung. Nicht meines. Nichts davon. Nie mehr.
Ein scharrendes Geräusch weckte mich irgendwann in den frühen Morgenstunden vor Tagesanbruch. Einen Moment lang blieb ich desorientiert liegen, dann drehte ich mich um. In der Dunkelheit machte ich auf dem Boden neben dem Bett eine gebückte Gestalt aus. »Justin?«
Er antwortete nicht und bewegte sich nicht. Ich hörte, wie er tränenerstickt nach Luft rang. »Justin?«, fragte ich noch einmal flüsternd.
»Ich bin froh, dass du hier bist«, sagte er. »Wirklich.«
Ich sah ihn eine Weile an, dann streckte ich die Hand aus.
Er nahm sie und drückte sie an seine Wange. »Wenn du bei diesem Licht daliegst und schläfst, siehst du wieder aus wie sechzehn.«
»Wie lange sitzt du hier schon?«
Er antwortete nicht, also strich ich ihm das schweißnasse Haar aus der Stirn, ohne zu wissen, was ich fühlen sollte, ohne zu wissen, welches Gefühl richtig wäre. Doch als er zu mir ins Bett stieg, ließ ich es zu. Wir schmiegten uns aneinander, Minuten vergingen, dann Stunden, während wir in Schlaf fielen, wieder aufwachten, sein Kopf auf meiner Brust lag und sein Haar an meinem Hals kitzelte. Es fühlte sich nicht falsch an. Es war wie ein Trost, eine Erfüllung, wie ich sie fast schon vergessen hatte. Und als die Morgendämmerung schließlich ins Zimmer fiel, berührte er meine Wange, ging hinaus und schloss die Tür hinter sich.
Die Sonne drang durch meine Augenlider, eine späte Morgensonne, deren Licht mehr kaltes Weiß als Gelb enthielt. Wie lange hatte ich geschlafen? Eine Weile blieb ich mit geschlossenen Augen in dem Bett liegen, das früher einmal Daddy gehört hatte. Ich lag da, dachte an das Gewicht von Justins Kopf auf mir und roch noch immer den Duft seines Haars auf meinem Pyjama-Oberteil - das selbst gemachte
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