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Auf ewig und einen Tag - Roman

Titel: Auf ewig und einen Tag - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Joy Arnold Angelika Felenda
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hab’s geschafft, und vielleicht seine Hand geschüttelt, als wären wir alte Freunde. Jetzt hatte ich keine Ahnung, was ich sagen würde, wenn ich überhaupt etwas herausbrachte und nicht bloß wie ein Idiot mit offenem Mund dastand.
    Dann kam in dem weiten Grau des Ozeans der nördliche Leuchtturm in Sicht, gefolgt von den schroffen roten Lehmklippen, die das Land vor dem Atlantik schützen. Schnell näherte ich mich der Küste, wo alles so trügerisch ruhig schien, kaum ein Mensch war zu sehen und kein Zeichen des Albtraums, den ich erlebt hatte. Ich war hier. Ich war hier und wollte mich plötzlich darauf stürzen und es verschlingen, als hätte mich eine Art teenagerhafter Verliebtheit gepackt. Ich hatte das Gefühl schon fast vergessen. Es war Jahre her, dass ich irgendetwas geliebt hatte.
    Vom Deck aus war der Anblick verblüffend unverändert: vertäute Boote und zurückkehrende Fischer, die pittoreske Hafenseite mit den Reihen viktorianischer Hotels und Saltbox-Häusern, nur durch die Parkplätze und das Schnellrestaurant verschandelt, dessen Sonnenschirme an den Außentischen wegen des Regens zusammengefaltet waren. Abgesehen von dem bunten Anstrich und der neu hinzugekommenen Leuchtreklame war die Straße seit dem Bürgerkrieg mehr oder weniger unverändert geblieben.

    Ich stieg von der Fähre und versuchte, alles wie ein Tourist zu sehen, die verschlafene graue Stadt, die in der nieseligen Kälte nichts als eine Enttäuschung war. Und da war Daddys Dock. Wie konnte es sich so wenig verändert haben, nachdem ich mich doch so sehr verändert hatte? Andere Männer benutzten es jetzt. Wie ich sah, hatten sie ihre kitschigen Reklametafeln und Ankündigungen aufgestellt, aber dennoch würde es immer Daddy gehören.
    Beim zweiten Stützpfeiler kniete ich mich auf das feuchte Holz und strich mit den Fingern über die gesplitterte Planke. Die Initialen, die Justin mit dem Schraubenzieher in das dunkle Zedernholz geschnitzt hatte, JC+KB, waren immer noch da über der Wasserlinie. In zehn Jahren, hatte er gesagt, kommen wir zurück und zeigen unseren Kindern, wie wir öffentliches Eigentum beschädigt haben. Werden sie nicht stolz sein?
    Ich ging die gewundenen Straßen entlang, an den Mauern aus vom Meer glatt geriebenen Steinen vorbei, die sich über die Hügel hinzogen, an den Veranden mit Schaukelstühlen und mit Windspielen, die anschlugen und summten wie alte Kuhglocken, an endlosen Weizenfeldern vorbei, die der Regen platt gedrückt hatte.
    Als ich die Ocean Avenue hinunterging, sah ich, dass selbst die Geschäfte noch dieselben waren: Eisner’s Boutique, wo Eve und ich einen Lederrock stahlen, als alles anfing, immer schlechter zu werden, an einem der letzten Tage, als ich ihr noch traute. Die alte Druckerei mit ihren schmutzigen Fenstern und unkrautüberwucherten Stufen, wo mich einmal eine Gruppe Touristen angehalten, mir ihre Kamera gegeben und posiert hatte, als wäre der Verfall etwas, das wert war, auf einem Foto festgehalten zu werden. Jetzt eilte ich vorbei, wagte nicht, in
die Fenster zu sehen, aus Angst, dies würde mich in eine Zeit zurückversetzen, als mein Gemüt so verfinstert, meine Gedanken so bitter waren, dass ich sie buchstäblich in mir brennen fühlte.
    Oben, in Richtung der Inselmitte, befanden sich die kleineren Häuser mit ihren abblätternden Schindeln, die billigeren, weiter vom Meer entfernten Gasthäuser, eine Viehfarm, eine Pferdezucht und der Inselfriedhof. Daddys Friedhof. Von hier oben konnte man praktisch alles sehen: den neuen Hafen zur Linken, den alten Hafen zur Rechten, die sanfte Neigung und den Schwung der Hügel, die ins Meer abfielen, die verblichenen, schlaff herabhängenden Fahnen an den Veteranengräbern. Daddys Grab lag neben einer niedrigen Steinmauer und war mit Unkraut überwuchert und verwahrlost. Ich kniete mich davor nieder und lehnte die Wange an den Stein, dessen Ränder kalt und glatt waren wie die Hand eines Toten. »Es tut mir leid, dass es so lange her ist«, flüsterte ich. »Ich hab’s nie vergessen.«
    Es war jedoch eine der bedauerlichen Tücken des Gedächtnisses, dass ich mich nicht so sehr daran erinnerte, wie Daddy im Leben gewesen war, sondern eher an die Zeit, die ich auf diese Weise hier mit ihm verbracht hatte, seinen gemeißelten Grabstein festgehalten hatte wie einen Ersatz, und ihm alles erzählte und dabei sein Mitgefühl spürte. Ich erzählte ihm damals von Justin, von Eves Trinkerei und ihren Männern, von der Nacht, als ich

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