Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)
schuldig halte«, dementiert er aufgeregt, daß die »Freiheitsspiele, die dort getrieben wurden«, Grund für die Belagerung gewesen seien, und überhaupt, die Franzosen hätten Mainz auf jeden Fall aus strategischen Gründen einnehmen müssen. »Ist es möglich, der Stadt anzurechnen, was so einzig die Schuld des Ungeheuers ist, der darin schwelgte? Also der Kurfürst, und er allein ist Urheber allen Elends, das dort gelitten wird.«
Nach der Kapitulation von Mainz am 23. Juli übten die Bewohner grausame Rache an ihren jakobinischen Mitbürgern, die von den abziehenden Franzosen fast alle zurückgelassen wurden. Therese wurde mit Schmähschriften und Bettelbriefen von Opfern der Belagerung überhäuft, während sie und Forster sich um die Wiedererlangung ihrer Besitztümer bemühten. Ihr Haus hatte die Bombardierung der Stadt unversehrt überstanden, nach dem Einmarsch der Preußen war es von den Behörden zum Schutz vor Plünderern versiegelt worden. Forsters wertvollstesGut, seine Manuskripte, Aufzeichnungen und Tagebücher, konnte ein Bekannter in Sicherheit bringen.
An dem Tag, als die Stadt sich den Preußen ergab, steckte Forster mitten in der Lektüre eines neuen Buches, das ihn sehr beschäftigte. »Zwei Quartbände von William Godwin – Enquiry on political justice . Ein sehr gründliches philosophisches Werk, worin endlich die ganze Theorie der menschlichen Gesellschaft und der Regierungsverfassung auf Vernunft und Moral und ihre unumstößliche Grundsätze gebaut werden. Ein Werk voll echter und heiliger Bekenntnis der Wahrheit, welches wenigstens künftig noch wirken wird, wenn es jetzt seine Wirkung nicht gleich haben sollte. Ich exzerpiere mir daraus was ich kann, denn das Buch gehört der National-Convention, der es der Verfasser geschenkt hat.«
* * *
Inzwischen ist Huber, aus sächsischen Diensten entlassen, in Neuchâtel eingetroffen. Der Klatsch blüht, die Behörden machen Schwierigkeiten, Huber gilt ihnen als Jakobiner, den sie nicht bei sich dulden wollen, ein Verdacht, den er mit einem langen Schreiben zu zerstreuen sucht. Er darf bleiben, nimmt aber vorläufig eine eigene Wohnung.
Er und Therese planen die gemeinsame Zukunft als Schriftsteller-Ehepaar. Huber wird eine deutschsprachige politische Zeitschrift mit dem programmatischen Titel Friedens-Präliminarien herausgeben, ein inzwischen wieder aufgegebenes Projekt Forsters, der Beiträge für die ersten Nummern beisteuert oder vermittelt, so etwa John Hurford Stones Reportage über seine (und Oelsners) Abenteuer als Kriegsberichterstatter vom Herbst 1792. Therese will sich auf die Belletristik verlegen und Romane, Erzählungen und Theaterstücke schreiben, die unter Hubers Namen erscheinen sollen, weil sie von schriftstellernden Frauen nichts hält, jedenfalls dann nicht, wenn sie in der Öffentlichkeit auftreten.
Sie hatte auch schon konkrete Pläne, als sie Forster um weitereMitteilungen über zwei Revolutionsheldinnen bat, von denen er ihr in früheren Briefen berichtet hatte, die Amazone Théroigne de Méricourt und Charlotte Corday, die Mörderin – Richterin, wie viele glaubten – von Jean-Paul Marat, der in seinem Hetzblatt als »Volksfreund« unersättlich Gewalt und Tod gepredigt hatte. Am 17. Juli, vier Tage nach ihrer Tat, wurde sie hingerichtet. Ob es wahr sei, daß ein roher Mensch ihren abgetrennten Kopf geohrfeigt habe, wollte Therese wissen. Es stimmte. Der Henker Legros wurde dafür mit drei Monaten Gefängnis bestraft.
Forster, der das »Blutgericht« eine Schande der Revolution genannt hat – »ich mag nicht daran denken« –, war dennoch zur Hinrichtung Charlottes gegangen. Das öffentliche Sterben war in den Augen des Publikums zu einer Charakterprobe für die Verurteilten geworden, und die Corday bestand sie glänzend. Ihr Beispiel werde einst die Geschichte dieses Kampfes veredeln, »wenn längst die Privatansichten verschwunden sind, die jetzt die Urteile der Menschen entzweien, und nur der reine Ertrag übrig bleibt, von der Größe, die ausführen kann, was sie unternahm«, schrieb Forster bewundernd. »Die fanatische Überzeugung der Mörderin Marats tut hier nichts zur Sache, sie mag Irrtum oder Wahrheit zum Grunde haben, wohl aber die Reinheit ihrer Seele, die von ihrem Zwecke so ganz erfüllt war, und mit so schöner Heldenstärke alle Folgen der Tat hinnahm. Sie war blühend von Gesundheit, reizend schön, am meisten durch den Reiz der Unverdorbenheit, der sie umschwebte. Ihr schwarzbraunes
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