Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)
geschickt. Sie sollen mit den Engländern über einen Gefangenenaustausch verhandeln.
* * *
»Gestern ging ich sehr weit spazieren. Es war liebliches Wetter; unter hohen Weißpappeln, zwischen den fetten Wiesen am Kanal für mich allein ging ich und sann und maß in meinem Kopf den Punkt und die Unendlichkeit. Ich saß auf einem grobbehauenen Klotz und war in Gedanken bei Euch. Die beiden Kinder hüpften im Grase herum und mir wurde so innerlich glühend, daß ich nur Dank fühlen konnte für das Gefühl und die Ahnung.«
Gestern, das ist der 9. September 1793. Seit einem Monat hält sich Forster nun schon in Arras auf, der Heimatstadt Robespierres. Versuche, mit den Engländern in Verhandlungen einzutreten, sind bisher erfolglos gewesen. Forster vertreibt sich die Langeweile mit Lesen und Schreiben. Er hat mit einer Darstellung der Revolution in Mainz begonnen, in Form von rückdatierten Briefen, die die Gleichzeitigkeit von Erzählzeit und erzählter Zeit simulieren sollen, bleibt aber mittendrin stecken. Nach dem Fall der Stadt bringt er es nicht fertig, sich in die Zeit zurückzuversetzen, da er noch von Begeisterung für die Revolution erfüllt gewesen war. Die sei inzwischen sa belle mort [ihren schönen Tod] gestorben. »Ich schreibe, was ich nicht mehr glaube«, erkennt er und wünscht sich zurück nach Paris.
Das Rezept gegen Schmerz und Reue, das Therese sich verschrieben und auch ihm empfohlen hat, lehnt er ab, mit nachdenklichen, seelenvollen Sätzen: »Dich hüten vor literarischem und politischem Enthusiasmus, heißt doch nur wollen, was die Natur anders will. Wir müssen glücklich oder unglücklich sein, wie es unser Wesen mit sich bringt, da hilft wahrlich kein Hüten; und überhaupt ist es eine so unendliche Torheit zu glauben, daß Glück die Bestimmung des Menschen sei, und zweitens, daß es durch irgend eine moralische Diät erzwungen werden könne.Empfinden und Denken ist unsere Bestimmung und beides hat nur zufällige Beziehung auf Glück und Unglück, oder Genuß und Schmerz. Wahr ist es, wenn wir durch bittere Erfahrungen inne geworden sind, daß die heftigen Bewegungen, die großen Anstrengungen unserer Geisteskräfte oft am wenigsten geschickt sind, uns froh zu machen, wenn wir gewaltsam zurückgeschleudert werden und Wunden davontragen, deren Schmerz wir lange nachfühlen, die vielleicht immer offen bleiben, so lernen wir wohl still liegen, uns nicht umherwälzen, um nicht die rohe Rotte zu reizen und lieber auf den Gebrauch unserer Gliedmaßen verzichten, als die Gefahr laufen uns zu stoßen. Aber das ist doch wahrlich nur ein Symptom der abnehmenden Kräfte, der abgelaufenen Hörner, und ich weiß nicht, wie man sich darauf etwas zu gute wissen kann. Wahrlich, wenn man so viel Besonnenheit hat, zu wissen, daß die zarteste Reizbarkeit, so viel Leiden sie uns immer verursacht, doch auch das Einzige bleibt, worin wir unser selbst und des Umgebenden froh werden können, wird da nicht unsere erste Sorge sein, sie so rege, so empfindlich wie möglich zu erhalten?«
Seine jedenfalls ist es, mehr denn je. Therese! Jeder ihrer Briefe bereitet ihm schmerzliche Freude und schürt die Sehnsucht nach einem Wiedersehen. Die von ihr ersehnte Scheidung wird zum Mittel, dieses Ziel zu erreichen. Anfang Oktober – er und sein Kollege haben in Arras immer noch nichts erreichen können – bittet er um einen Urlaub von fünf bis sechs Wochen. Nicht genug damit, daß er durch die Wiedereinnahme von Mainz ruiniert worden und seiner ganzen Habe verlustig gegangen sei, »mein Unglück wollte es auch noch, daß die Trennung von einer Frau, die ich über alles in der Welt liebte, die einzige Möglichkeit ist, ihr das Ausmaß meiner Zuneigung zu beweisen. Bis jetzt konnte die Scheidung, in die ich um ihres Glücks willen eingewilligt habe, nicht ausgesprochen, nicht einmal eingeleitet werden, auf Grund meiner Abwesenheit von meinem Wohnsitz. Es gibt nur ein Mittel, um eine rasche Entscheidung herbeizuführen: Ich muß mich in eine unserer Städte an der Grenze zurSchweiz begeben, wo sich meine Frau befindet, und ihr dadurch die Zusammenkunft erleichtern, welche das Gesetz verlangt, wenn die Scheidung mit gegenseitiger Zustimmung der Parteien erfolgt.« Die Gewährung seiner Bitte sei ihm unendlich wichtig, puisque ma tranquillité y tient [weil meine Ruhe davon abhängt]. Sie wird ihm erfüllt, zumal man mittlerweile beschlossen hat, die Mission abzubrechen.
Forster wäre am liebsten sofort abgereist,
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