Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)
Tage Dich gedulden mögest.« Wie engagiert hat er die Sache betrieben? Therese müsse nach Paris zu kommen, schreibt er, aber das will sie auf keinen Fall. Sein Vorhaben, sie in Neuchâtel zu besuchen, weist sie entsetzt ab.
»Ich habe Deinen Brief, meine teuerste Therese, worin Dein schönes Herz so ganz darliegt. Es hat das schmerzliche Gefühl meines grenzenlosen, unheilbaren Elends nur noch geschärft. Ich kann nicht mit Dir leben und kann Dich auch nicht entbehren; es ist unmöglich, daß ich je durch Liebe beglückt werde, denn nie kann ein anderer Gegenstand mich rühren und mein Herz erfüllen – und ich liebte so ganz unbedingt, so hingegeben! Ich liebe noch ebenso mit dem zerfleischenden Bewußtsein, nie, nie! glücklich gewesen zu sein, nie Gegenempfindungen erregt zu haben, folglich nie erwecken zu können. Wünsche nicht diese Hölle zu fassen, daß ich einsehen lerne, womit ich sie verdient habe, sondern wünsche, daß ich ruhiger und mit dem Schicksal versöhnter sterbe. Ich war gewiß für häusliches Glück geschaffen, ich war nützlich als Mensch und wär es als Mensch, als Vater und Freund, als Gatte immer mehr geworden. Alles ist zerrüttet, alles ist hin; ich kann nicht mehr die Ruhe der Seele finden, die zur Arbeit unentbehrlich ist; ich kann mich mit der toten Einsamkeit nicht aussöhnen und hasse sie doch weniger als die traurige Gesellschaft der Menschen.«
Sie schreibt ihm auf französisch: Ne t'obstine plus de changer mon sort. Je ne veux pas retourner auprès de toi. [ 40 ]
Er schreibt: »Ich harre der Zeit unseres Wiedersehns.« Je unwiderruflicher sie ihm in der Realität entschwindet, desto unerbittlicher hält er an ihr fest, was ergreifend, aber auch schrecklich ist, weil es an einen Stalker denken läßt. Er nennt Therese jetzt gern »geliebte Tochter«. In seinem neuen Entwurf einer zukünftigen ménage à trois spielt er die Rolle des edelmütigen Familienfreundes. »Ich bleibe dabei, daß ich mein Leben und meine Seligkeit für Glück mit Dir gegeben hätte; weil es mir aber nicht beschieden ist, so wünsche ich wenigstens Dein Glück.« Huber reicht er brieflich die Hand zur Versöhnung, nachdem er ihm zuvor eine merkwürdig abgehobene Strafpredigt gehalten hat. »Das Allgemeine [Ihrer Handlung] zerrüttete nur gesellschaftliche Formen, das Individuelle brachte einen Mann, der nur Ein Glück kannte, um jede Hoffnung für die Zukunft, weil auch nach Ihrem eigenen Urteil dieses Glück einzig ist. Daß ich weder glücklich war noch glücklich machte, ändert hier nichts; ehe Sie alle Verhältnisse, alle Bande zerrissen, hätten Sie Gewißheit haben sollen, daß auch der Wert dessen, was ich entbehrte, von mir unerkannt geblieben sei, und niemand hat ihn je höher, niemand je so hoch angeschlagen als ich, denn der Verlust bleibt mir ewig unheilbar und unvergeßlich.«
Forsters bewährtes Überlebensmittel und gewissermaßen sein Markenzeichen als Schriftsteller, als Sprachkünstler: Von einem höheren Standpunkt aus sucht er sich am Zopf der Reflexion aus dem Sumpf des Individuellen, des chaotischen, schmuddeligen Lebens herauszuziehen. Das kann (wie hier) zu Verrenkungen führen. Aber auch zu der wunderbaren, schwermütigen, gefühlsdurchwärmten Gedankenmusik, wie sie aus seinen Pariser Briefen an Therese immer wieder erklingt.
»Es ist sonderbar meine geliebteste Therese, daß unsere eigentümliche Verhältnisse so mit den wichtigsten Angelegenheiten des ganzen Menschengeschlechts zusammenhängen! Wenn ich bloß erwäge wie wenig alles, was ich seit dem November getan habe, jetzt zweckmäßig erscheint, so möchte ich manchmal wünschen, ich wäre ruhig aus Mainz gezogen und hätte mich inHamburg oder Altona niedergelassen, ohne etwas mit den Händeln der Völker zu tun zu haben. Wenn ich dagegen bedenke, daß nur auf diese Art unser Schicksal die Wendung nehmen konnte, die in unserer Lage einmal die einzige war; daß so eine Täuschung, die uns am Ende leicht alle miteinander unglücklich gemacht hätte, aufhören könnte; daß nur so die Gewißheit in mir entstehen konnte, meinen politischen Grundsätzen Genüge geleistet zu haben, und jene zweite, daß der rechtschaffene Mann nur so lange fortarbeitet, als er es ohne Verletzung seiner Selbstachtung tun kann, daß endlich nur auf diese Art eine gewisse Entwickelung meiner selbst möglich war, die zwar unendlich schmerzlich, aber auch zugleich eine Quelle von sonderbarer Beschauung in mir geworden ist, und daß ich bei
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