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Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)

Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)

Titel: Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Naumann
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Spontaneität und Offenheit machten sie verletzlich und leicht angreifbar (was dann auch die Nachwelt erbarmungslos ausgenutzt hat). »Es war ihr unmöglich, sich zu verstellen, wenn sie eintrat, war sofort deutlich, wie sie gestimmt war, und der Verlauf des Gesprächs vorhersehbar. Wenn Sorgen sie quälten, was sehr oft der Fall war, befreite sie sich davon, indem sie ihr Herz ausschüttete, und kehrte in der Regel beruhigt, oft in Hochstimmung, nach Hause zurück. F. war häufig bei uns.«
    In dem letzten bis zum Namenskürzel diskreten Sätzchen steckt ein Roman, eine komplizierte, skandalträchtige Beziehungsgeschichte, die Johnson besser kannte als jeder andere und leider nicht erzählt hat. Von den drei revolutionären Liebesbeziehungen, die mit Mary Wollstonecrafts Schaffen aufs engste verflochten sind, hat die zu Füssli bei ihren Biographen am wenigsten Interesse, Beachtung und Sympathie gefunden.
    Das hat mit der Überlieferung zu tun. Sieht man von einigen wahrscheinlich auf Mary gemünzten Invektiven Füsslis über Mannweiber und intellektuelle Frauen ab, haben beide über ihr Verhältnis weitgehend Stillschweigen bewahrt. Ihr Briefwechsel ist nicht erhalten. So haben sich ihre Biographen von jeher hauptsächlich auf die parteiischen Berichte von William Godwin und John Knowles stützen müssen, der Marys Briefe an Füssli noch benutzen konnte. Bei aller Unterschiedlichkeit sind sie sich darin einig, daß sie Marys Passion für Füssli mißbilligten. Godwin hielt sie für eine Verirrung, Knowles nahm moralisch Anstoß.

    23  Der Nachtmahr. Ölgemälde von
Johann Heinrich Füssli, 1790/91
    Das hat aber auch mit Füsslis Person und seiner Kunst zu tun. »Der Beifall, welchen Füsslis Gemälde in England erhalten, bezeichnet mehr als alles die Überspannung des dortigen Kunstgeschmacks«, schrieb Georg Forster 1789 eifersüchtig, in einem Aufsatz mit dem irreführenden Titel Geschichte der Kunst in England . »Dieser junge Schweizer brachte nebst der Kenntnis akademischer Modelle sein malerisches Kraftgenie mit sich übers Meer; seiner Phantasie ward es wohl unter wilden Traumgestalten und Bildern des Ungewöhnlichen. Diese Stimmung, die von reifer Urteilskraft gezügelt, zu kühner Größe gediehen wäre, verführte ihn nur gar zu bald zu allen Ausschweifungen der Manier. Außer dem Lear , dem Füsslis Talente nicht recht angemessen waren, fand er in Shakespears Traum einer Sommernacht , im Hamlet und Macbeth die Befriedigung seines Hanges zum Übernatürlichen, und zugleich das unfehlbare Mittel, die Bewunderung des Publikums zu fesseln.« Und dann rügt er Füssli, weil dieser unzulässigerweise die Grenzen zwischen Malerei und Dichtung nicht beachte.
    Das ist nach dem Lessingschen Lehrbuch geurteilt und ungefähr so, als würde man einem abstrakten Künstler vorwerfen, daß er nicht gegenständlich arbeitet. Das Neue, Bahnbrechende an Füsslis Kunst war ja gerade, daß er die zeitgenössische Historienmalerei aus ihrer Stagnation befreite und ihr das Reich des Unsichtbaren eroberte, so wie auf andere Weise sein geschätzter Kollege William Blake. Woran Forster wohl eigentlich Anstoß nahm, war der Tabubruch der »Ausschweifungen«, also die skandalöse Offenheit, mit der Füssli sexuellen Phantasien, Begierden, Trieben, Obsessionen und Ängsten Gestalt gab, besonders suggestiv in seinem bekanntesten Bild. Wer denkt bei seinem Namen nicht gleich an den Nachtmahr ? Eine Frau bewußtlos vom Bett zum Boden sinkend, auf ihrer Brust ein häßlicher Dämon, ein Pferd als Zuschauer der Szene …
    Im nächtlichen Theater seiner Bilder schläft die Vernunft. Die Geschlechter stehen einander fremd und feindlich gegenüber. Die Männer stilisiert zu heldischen Muskelpaketen, die Frauen willenlose Opfer oder grausame Herrinnen, femmes fatales , Hexen, kalte, leere, heitere Zierpuppen mit bizarren, hochaufgetürmten Frisuren.
    Man kann in Füssli, der ein Jahrhundert vor Freud seine Dämonen sichtbar machte, einen Visionär und Befreier sehen, aber auch einen nicht ungefährlichen Triebtäter in effigie. Öffnete er eine Büchse der Pandora? Appellierte er zynisch an die Sensationslust, die niedrigen Instinkte des Publikums, wie Forster meinte? Dieser Vorwurf begegnet uns auch heute noch. In Barry Maitlands Krimi No Trace gibt es einen Künstler, der das Verschwinden seiner kleinen Tochter Tracey in einer von Füsslis Nachtmahr inspirierten Installation kommerziell ausbeutet. »Das ist krank«, kommentiert ein

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