Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)
liegt nicht darin, was er denkt, sondern wie er denkt.« Marys Persönlichkeit machtsich in allem, was sie schrieb, geltend, und wenn möglich drückte sie ihren Produktionen den Stempel ihres Namens auf. Maria heißt die Heldin ihres zweiten, Fragment gebliebenen Romans. Mary heißt eines der beiden Mädchen, die in den Original Stories erzogen werden. Bei der Übertragung von Salzmanns Moralischem Elementarbuch macht sie aus der deutschen Luise eine Mary.
Was auf den ersten Blick egozentrisch wirkt, war ein literarisches und emanzipatorisches Programm. »Das Private macht sich zur Öffentlichkeit. Philosophisch gesagt: Der Einzelne, er allein, ist das Allgemeine.« Mary ist zugleich Eigenname der Verfasserin und der christliche, englische Frauenname schlechthin. Nur wer den Mut habe, ein Original zu sein, wer seine künstlerischen Werke ganz aus sich selbst schöpfe, könne ihnen Wahrheit und Leben einhauchen und damit von allgemeinem Interesse sein, erklärt Mary im Vorwort zu Mary . »Diese wenigen Auserwählten wollen für sich selbst sprechen und kein Echo sein – nicht einmal der süßesten Töne – oder der Reflektor der erhabensten Strahlen. In einer kunstlosen, geradlinigen Geschichte wird eine Frau gezeigt, die über Denkkraft verfügt. Man hat die Meinung vertreten, daß die weiblichen Organe für diese anstrengende Tätigkeit zu schwach seien.«
Sagestus und Sagesta
»Auf der einfachsten Ebene bedeutet Freiheit, deine Aufmerksamkeit auf das lenken zu können, wohin du sie lenken willst, und nicht durch eine Obsession fremdgesteuert zu sein«, hat der englische Schriftsteller Edward St. Aubyn in einem Interview gesagt. So schwer es Mary Wollstonecraft fiel, ihre Stimmungen und Leidenschaften der Vernunft zu unterwerfen, über ihre materiellen »Gelüste und Begehrlichkeiten« hatte sie eine solche Macht, »daß sie diese ohne große Mühe vollständig beherrschte« und »fast vergaß, daß sie einen Körper hatte, wennihr Geist oder Herz von etwas erfüllt war«. Sie war von äußerster Sparsamkeit und lebte asketisch und vegetarisch, gewissermaßen grün. Dem Rousseauschen Schlachtruf »Zurück zur Natur!« folgend, nach einem reinen Leben strebend, verweigerte sie sich der Mode und besaß nur das Notwendigste an Hausrat. »Als [der französische Minister] Prinz Talleyrand in diesem Land war und sie besuchte, tranken sie beides, den Tee und den wenigen Wein, den sie zu sich nahmen, aus Teetassen«, berichtet Füsslis Biograph John Knowles naserümpfend. »Ihre gewöhnliche Kleidung war ein Gewand aus grobem Tuch, wie es jetzt die Milchfrauen tragen, schwarze Strickstrümpfe und ein Biberhut [ 42 ] . Ihre Haare fielen glatt auf die Schultern herab.«
Mary glaubte, was sie lebte, aber sie machte auch aus der Not eine Tugend. Mit ihren geringen Einkünften unterstützte sie auch noch ihre Geschwister. Nur der ältere Bruder Edward (Ned), der Anwalt geworden war, brauchte keine Hilfe, hatte aber keine Lust, sich um seine weniger tüchtigen oder erfolgreichen Familienangehörigen zu kümmern. Mary nahm die Verantwortung auf sich, was sie überforderte und schließlich das Verhältnis zwischen den Schwestern vergiftete.
Die Sorgen wuchsen ihr oft über den Kopf. Daß es ihr trotzdem besser ging als je zuvor, verdankte sie Joseph Johnson, der immer ein offenes Ohr für sie hatte und ihre wechselnden Stimmungen, ihre Verzweiflungs- und Zornesausbrüche ertrug wie ein wahrer Philosoph. Nachdem sie wieder einmal ausgerastet war, schrieb sie ihm reuevoll: »Sie sind mein einziger Freund – der einzige Mensch, dem ich mich nahe fühle – Ich hatte nie einen Vater oder einen Bruder – seit dem Beginn unserer Bekanntschaft sind Sie mir beides gewesen – und doch bin ich sehr gereizt gewesen – wenn ich an diese Vorkommnisse von schlechter Laune und Übereiltheit denke, erscheinen sie mir wie Verbrechen.«
Als Frau hat Mary Johnson nicht interessiert (die Frauen scheinen ihn generell nicht interessiert zu haben), er hing an ihr mit Bewunderung und liebevoller Sorge. Er wußte, daß sie des Schutzes bedürftig war. Auf Mary Wollstonecraft paßt das altmodische Wort Feuereifer, das man oft etwas herablassend Kindern zuschreibt, weil die Fähigkeit zur totalen Hingabe an eine Sache uns im späteren Leben meist verlorengeht. Ihr nicht. Sie war von allem, was sie gerade fühlte und dachte, immer ganz erfüllt und überzeugt und hatte den Drang, ihre Umwelt daran teilhaben zu lassen. Emotionalität,
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