Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)
für Spitzel, Spione, Agenten, Doppelagenten, für Konspirationen, Verschwörungen, Denunziationen. Die Emigranten rücken zusammen. Treffen sich zu Ausflügen, zum Essen, zu Theaterbesuchen. Versuchen, sich über die täglichen Schreckensmeldungen hinwegzutrösten, bangen um Freunde und Verwandte. Weil jeder Tag der letzte sein kann, haschen sie lebenshungrig nach den »vergänglichen Freuden des Augenblicks«.
29 Magdalena Schweizer-Hess.
Zeichnung von Johann Heinrich Füssli, 1778/79.
Dem Traum von einem freien und gleichen Umgang der Geschlechter ist Mary nie wieder so nahe gekommen wie in ihren ersten Pariser Monaten. Der moralischen Zensur ihrer Landsleute entronnen, fand sie sich unter Menschen, die sie bewunderten, ihre Bekanntschaft suchten, sie mit Komplimenten und Aufmerksamkeiten überschütteten, um sie warben. Der schlesische Graf Schlabrendorf, der 1790 nach Paris gekommen war, nannte sie später »das edelste, sittigste, sinnvollste weibliche Wesen, daß ich kennen gelernt habe« (und er hat viele Frauen gekannt und geliebt). »Mary war, ohne blendende Schönheit zu sein, eine anmutsvolle Grazie. Ihr seelenvolles Gesicht war mehr, als nur schöne Regelmäßigkeit. Es lag Zauber bei ihr in Blick, Stimme und Bewegung.«
Wie Schlabrendorf und Georg Forster ging es vielen. Sie hatten sich die Verfasserin der Vindication als herbes Mannweibvorgestellt und waren nun angenehm überrascht, einer attraktiven, sehr weiblichen Frau zu begegnen, liebenswürdig gerade in ihrer Sprachlosigkeit.
»Sie spricht fast garnicht Französisch und drückt sich mit der größten Mühe in dieser Sprache aus«, schreibt Wilhelm von Wolzogen am 2. Februar 1793 in sein Tagebuch. Der junge Diplomat, den der Herzog von Württemberg inoffiziell nach Paris geschickt hat, war Mary gerade zum erstenmal bei Bernardin de Saint-Pierre begegnet. »Es ist sonderbar«, sagt Wolzogen galant zu ihr, »daß, während Sie die Rechte Ihres Geschlechts verteidigen, Sie in diesem Land des schönsten Rechts, zu sprechen, beraubt sind.«
Ein paar Tage später trifft er Mary wieder, wahrscheinlich bei Schweizers, mit denen er seit einem früheren Parisaufenthalt gut befreundet ist.
»Mademoiselle Wollstonekraft, von der schon oben geredet worden, eine Person, deren Schicksale sonderbar gewesen sein müssen, die aber ohngeachtet dessen eine reine Seele und einen vortrefflich organisierten Kopf besitzt, schrieb, da sie nichts als Englisch redet, einige Ideen nieder; es war die Rede von den Leidenschaften. Man sagte ihr darauf, daß das, was sie darüber gesagt hätte, vortrefflich wäre, daß man aber immer daraus ihr Geschlecht erkennen könne. ›Ich vergesse‹, gab sie unschuldsvoll zur Antwort, ›ich vergesse mein Geschlecht, wenn ich in Gesellschaft von Männern bin, und nur dann erinnere ich mich daran, wenn ich bei dem Mann bin, den ich liebe.‹«
Vielleicht war Wilhelm von Wolzogen in Mary verliebt. Sicher ist, daß er sich gern mit ihr unterhielt, so wie er überhaupt das Gespräch mit gescheiten Frauen liebte. (Er hat dann die kluge Caroline von Beulwitz geheiratet, die die Nachwelt vor allem als Schillers Schwägerin kennt.) Auch Mary fand offenbar Gefallen an den Unterhaltungen mit ihm, wie Magdalena Schweizer eifersüchtig beobachtete.
»Ich liebte Marie Wollstonecraft, Autorin der Rechte der Frauen. Sie hatte bezaubernde Momente. Ich hätte sie mit Beständigkeit lieben wollen, aber sie stieß durch ihre Intoleranz alle Frauen zurück, die sich ihr nicht unterordnen wollten. Mit ihren Dienstboten, mit Subalternen und allen Unglücklichen war sie sanft wie ein Engel. Sie wäre von einer außerordentlichen Sensibilität gewesen, ohne ihre allzu starke Sinnlichkeit, die zu oft die Überhand gewann. Ich verbrachte einen Abend mit ihr auf dem Land. Die Farbnuancen am Himmel waren von einer hinreißenden und poetischen Schönheit. Marie fand sich neben dem Baron von Wolzogen unter einem Baum, der von den Strahlen der sinkenden Sonne vergoldet wurde. Ich saß ihnen gegenüber und war so hingerissen, daß ich zu ihr sagte: kommen Sie Marie, kommen sie, Liebhaberin der Natur, um dieses wunderbare Schauspiel zu betrachten, diesen Wechsel der verschiedensten Farbtöne! Aber wie groß war mein Erstaunen, als ich sah, daß Marie ganz gleichgültig blieb und ihre Augen nicht von demjenigen wandte, von dem sie in diesem Augenblick gefangen war. Ich gestehe, daß ihr erotisches Delirium mich so unangenehm berührte, daß meine Begeisterung
Weitere Kostenlose Bücher