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Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)

Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)

Titel: Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Naumann
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gehe zu Bett – und zum erstenmal in meinem Leben kann ich die Kerze nicht löschen.«
    Am Ausgang des Prozesses scheint Mary nicht gezweifelt zu haben. Thomas Paine sprach sich in einer mutigen prophetischen Rede gegen das Todesurteil aus, aber es half nichts. Am 21. Januar 1793 um zwanzig nach zehn wurde Ludwig auf der Place de la Révolution, der heutigen Place de la Concorde, guillotiniert. Zuschauer, die in der Nähe standen, rannten nach vorne, um Papier oder Taschentücher in das königliche Blut zu tauchen. Die Leiche wurde sofort zum Friedhof Madeleine geschafft und in einem besonders tiefen Grab verscharrt, in das man doppelt soviel Ätzkalk gab wie sonst üblich. Ein Reliquienkult und -handel mit königlichen Knochen sollte unbedingt verhindert werden. Einer Überlieferung nach soll es Marie Grosholtz aber zuvor noch gelungen sein, den Kopf des Königs in Wachs abzunehmen. Man kann ihn heute in der Schreckenskammer von Madame Tussaud's Londoner Wachsfigurenkabinett sehen.
    Eroberungen
    Jeden Tag hatte sie neue Theorien darüber, wie man das Leben leben sollte, und jeden Tag stieß sie gegen den Felsen der Vorurteile der anderen Menschen. Und jeden Tag – denn sie war keine Pedantin, keine kühle Theoretikerin – wurde in ihr etwas geboren, das die Theorien über den Haufen warf und sie dazu zwang, neue zu bilden.«
    Virginia Woolf über Mary Wollstonecraft
 
    Am 1. Februar 1793 erklärt Frankreich England und den Niederlanden den Krieg. Die Engländer besetzen Toulon und verhängen eine Seeblockade. Der normale Postverkehr funktioniert nicht mehr, Postsäcke werden ins Meer versenkt, Briefe abgefangen und geöffnet, man muß jetzt aufpassen mit dem, was man schreibt. Wenn Mary nicht riskieren will, für unabsehbare Zeit in Frankreich festzusitzen, abgeschnitten von der Heimat, muß sie jetzt abreisen, so wie sie es ohnehin geplant hat, nach sechswöchigem Aufenthalt.
    Aber sie bleibt. Die politische Lage ist verzweifelt, der Alltag schwierig, die in der Straßenmitte liegenden Rinnsteine schwellen bei Regen zu schmutzigen Bächen an, und es regnet dauernd. »Ich ruiniere mich fast mit Mietdroschken«, klagt Mary.
    Sie bleibt. Das Angebot eines gentleman , der nach London zurückreist und ihr einen Platz in seiner Kutsche anbietet, lehnt sie ab. An Ruth Barlow, die auf der anderen Seite des Kanals in London sitzt und unschlüssig ist, ob sie eine Reise nach Paris und zu ihrem Mann jetzt noch riskieren soll, schreibt sie: »Ich wußte gar nicht recht, wie ich ihm nein sagen sollte.« Aber eine Rückkehr zu diesem Zeitpunkt wäre töricht gewesen, erklärt sie. Der Philosoph Condorcet, der in einem Komitee zur Neuregelung des Schulwesens sitzt, hat ihr den ehrenvollen Auftrag erteilt, einen Lehrplan für den Unterricht von Mädchen zu entwerfen. Außerdem will sie weiter an ihrem Französisch arbeiten. Die Sprache, um deren Beherrschung sie seit ihrer Ankunft kämpft, entzieht sich ihr immer noch, auch deswegen, weil siepartout keine Fehler machen will. »Ich wäre nicht damit zufrieden, so zu sprechen wie viele Engländer, die einfach so dahinreden, ohne rot zu werden, und die beständige Aufmerksamkeit auf Worte erschöpft mich, besonders, da ich eine törichte Schüchternheit nicht los werden kann, die mir den Mund verschließt, wenn ich versuche mich verständlich zu machen; und außerdem ist es auch noch so, daß all die schönen französischen Redewendungen, die zum Gebrauch bereitliegen, wie weggeblasen sind, wenn mein Herz schwer ist oder meine Gedanken sich nach England davongemacht haben und Menschen umschweben, die ich liebe. Neulich sagte ein Herr, dem ich oft oui , oui , antwortete, während meine Gedanken ganz woanders waren, daß ich in Frankreich eine schlechte Angewohnheit angenommen hätte, denn es könne mir passieren, daß ich, par habitude , ja sagen würde, wenn ich es gar nicht beabsichtige.«
    Ihren Hauptbleibegrund versteckt Mary in einer beiläufigen Bemerkung. »Man überschüttet mich hier mit Zuvorkommenheit und Höflichkeit, und mir ist sogar mehr als Höflichkeit begegnet.«
    Dabei beurteilt sie die Zukunft der Revolution (in einem an Johnson gerichteten und auf den 15. Februar 1793 datierten Letter on the Present Character of the French Nation ) inzwischen ausgesprochen skeptisch. »Namen, nicht Prinzipien« würden ausgetauscht. »Immer noch sieht man den gleichen Amtsstolz, das gleiche Machtstreben, nur noch schlimmer. Denn jeder Held oder Philosoph – alle werden

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