Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)
Bilder seiner Phantasie lebendig werden. – Der Zug der Ludwige wandelt wie die Nachkommenschaft der Banquos in feierlicher Traurigkeit vorbei, auf die Nichtigkeit von Pracht und Herrlichkeit verweisend, und zerrinnt wieder auf der kalten Leinwand, die die riesigen nackten Wände bedeckt – Düsternis verschattet die gigantischen Figuren, die in die Umarmungen des Todes zu sinken scheinen. Wachsam betritt der einsame Wanderer die endlosen Zimmerfluchten, und sein Schatten, der von überall her in den langen glitzernden Spiegeln reflektiert wird, schwächt die Nerven, ohne das Herz zu schrecken.
Das bedrückte Herz sucht draußen im Garten Erleichterung; aber sogar dort gleiten die gleichen Bilder die breiten, vernachlässigten Wege entlang – alles ist entsetzlich still, und wenn ein kleines Rinnsal durch das Moos nach unten kriecht, wo es früher herabstürzte, lockt dieser Versuch, mit der Natur zu wetteifern, nur ein müdes Lächeln hervor. Weinend – ach Frankreich! ich weine unwillkürlich über die Spuren deiner einstigen Unterdrückung, die mit einem eisernen Zaun den Menschen vom Menschen trennte, alle verbildete und viele ganz elend machte; ich zittere vor Angst, einem unglücklichen Geschöpf zu begegnen, das auf der Flucht vor dem Despotismus ausschweifender Freiheit das Schnappen der Guillotine auf seinen Fersen hört, nur weil es einst adelig war oder denjenigen Asyl gewährte, deren einziges Verbrechen ihr Name war – die Bastille, der Tempel des Despotismus fiel nieder – aber der Depotismus ist in seinen Ruinen nicht mit begraben worden! – Unglückliches Land! – Wann werden Deine Kinder aufhören, Deine Brust zu zerfleischen? Wann wird ein Wandel der öffentlichen Meinung einen Wandel der Moral erzeugen und Dich wahrhaft frei machen?«
»Liebenswürdige, melancholische Fragen«, kommentiert John Adams.
Der Schrecken steckt nicht nur dieser Passage sozusagen in den Gliedern. Wie konnte es geschehen, daß die Französische Revolution nur wenige Jahre nach ihren begeisternden Anfängen in Anarchie und Terror mündete? Das ist die Frage, die Mary umtreibt und auf die sie Antworten sucht, im stillen Neuilly, im aufgeregten Paris und schließlich in Le Havre. Erklärungen findet sie in der menschlichen Natur, der Mentalität der Franzosen und im Despotismus ihrer Herrscher. Es sei nur zu natürlich, daß ein versklavtes Volk es seinen Unterdrückern mit gleicher Münze heimzahle: »Die Reichen haben jahrhundertelang die Armen tyrannisiert und sie gelehrt, wie man handelt, wenn man die Macht hat. Nun bekommen sie die Folgen zu spüren.«
Sie untersucht, die Ereignisse nachzeichnend, wann und wo entscheidende Fehler gemacht wurden. Was hätte anders laufen können, anders laufen müssen? »Wenn man den Fortgang der Revolution betrachtet, drängt sich einem die melancholische Überlegung auf, daß fast jedes der sich überstürzenden Ereignisse die Folge von Sturheit und Kleingeisterei der politischen Akteure war, während sie römische Großherzigkeit vortäuschten.« Die Mängelliste ist lang. Hier wurde halbherzig, hier mutlos, hier kurzsichtig gehandelt; den grundlegenden Fehler aber sieht Mary darin, daß die Nationalversammlung bei der Gesetzgebung zuviel auf einmal wollte, deshalb das, was möglich gewesen wäre, nicht erreichte und das Land in Anarchie stürzte: »Die Erneuerung von Frankreich sollte zur Erneuerung des ganzen Erdballs führen. Das politische System der Franzosen sollte als Modell für die freien Staaten des Universums dienen!«
Es wäre besser gewesen, wenn man sich Amerika zum Vorbild genommen hätte, urteilte sie. »Das ist der Unterschied zwischen Menschen, die aus praktischer Erfahrung handeln, und Menschen, die völlig von Theorien beherrscht werden oder prinzipienlos sind. Die meisten der vereinigten Staaten von Amerika haben ihre Verfassung binnen eines Monats gebildet. Sicher gab es zwischen diesen Staaten, damals britische Kolonien, und dem Frankreich nach dem 14. Juli sehr große Unterschiede; aber beide Länder waren ohne Regierung, Amerika durch den Feind im Herzen seines Reiches und Frankreich durch einen Angriff von außen bedroht. Die maßgebenden Männer in Amerika aber wußten, daß es nötig war, eine Regierung zu haben, und erkannten offenbar, daß Änderungen später leicht möglich sein würden.«
John Adams: »Danke Miss für Ihr Wohlwollen gegen Amerika, Sie haben nicht ganz recht, aber das macht nichts.«
Mit ihrer Revolutionsgeschichte
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