Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)
wollte Mary eine neue Disziplin begründen helfen, eine zugleich auf moralischen Grundsätzen und praktischen Erfahrungen gründende Politische Wissenschaft, die dazu beitragen sollte, Fehlentwicklungen wie die in Frankreich künftig zu verhindern. Sie wünschte sich (mehr) Menschen, die ihr Handeln von Prinzipien, nicht von Interessen, Emotionen und Passionen bestimmen lassen. Vernunft, gerade als neue Göttin der Franzosen inthronisiert, war ihr Zauberwort, das Rettungsmittel, das schließlich dafür sorgen mußte, daß doch noch alles gut ausgehen und aus dem Chaos von Anarchie und Gewalt eine Regierung aufsteigen würde, die besser war als alle bisherigen. Das große Projekt der Aufklärung – die Erziehung des Menschengeschlechts – konnte nicht scheitern, auch wenn es jetzt schwerfiel, das zu glauben. »Aber die Dinge brauchen Zeit, um sich einzupendeln.«
Der Realpolitiker John Adams konnte über soviel Naivität nur den Kopf schütteln. »Die Verbesserung des menschlichen Charakters, die Vervollkommnung der menschlichen Fähigkeiten sind das göttliche Ziel, das ihr Enthusiasmus in verklärender Vision erblickt. Ach, was für ein luftiges, bodenloses Märchen!«
Einerseits zu luftig, andererseits zu sinnlich. Adams hat gewußt, daß Marys Revolutionsgeschichte zur Zeit ihrer Liaison mit Imlay geschrieben wurde, aber er hat es auch aus ihren Sätzen herausgehört. Mit dem Schrecken sind auch Lust und Leidenschaft in ihn eingegangen.
Undelicate. A Lady is the writer , kommentiert er einen gewagten Vergleich Marys, in dem ein auf dem Höhepunkt der Lust hingeraffter Wüstling vorkommt. »Solche deftigen Formulierungen hätten von einer Dame vermieden werden müssen«, rügt er. »Ms. Wollstonecraft liebt solche Worte zu sehr«, bemerkt er zu einem Satz über die Königin Marie Antoinette (»sie verband auf die verführerischste Weise einschmeichelnde üppige Sanftheit und Liebenswürdigkeit mit hoheitsvollem Auftreten«).
Und fast schon resigniert: »Der Kopf dieser Frau ist immerfort mit Liebe beschäftigt.«
Wie recht er damit hatte! Gegen Ende führte sie ihre Leser zur Barrière de Neuilly, wo sie so oft auf den Geliebten gewartet hatte.
»Der Eingang von Paris bei den Tuillerien ist gewiß großartig. Die Straßen sind so breit, wie man es von einer großen, eleganten Stadt wünscht, und harmonieren mit den schönen Gebäuden dieses noblen Platzes, die die Blicke des Reisenden anziehen. Die hohen Bäume auf beiden Straßenseiten bilden reizvolle Alleen, wo die Pariser mit der ihnen eigenen Heiterkeit spazierengehen oder sich zum Verweilen niederlassen – diese Alleen scheinen gleichermaßen für Gesundheit wie Vergnügen gemacht. Auch die Schranken selbst sind stattliche Gebäude von imponierender Größe, die dem Ankommenden eine malerische Ansicht der Stadt bieten.
Aber ebendiese Schranken, erbaut von Calonne, der Paris inein neues Athen verwandeln wollte, geben auch Anlaß zu den melancholischsten Gedanken. Sie wurden zuerst vom Despotismus errichtet, um die Zahlung einer drückenden Steuer zu sichern, und seitdem haben sie fatalerweise dazu beigetragen, die Gesetzlosigkeit noch schlimmer zu machen, indem sie unschuldigen Opfern von Zorn oder Irrtum die Möglichkeit zur Flucht abschnitten.
Und doch ruht das Auge des Kenners mit Wohlgefallen auf ihren Gebäuden und Dekorationen: Proportion und Harmonie befriedigen das Auge, während Ornamente eine einfache, verspielte Eleganz darüber verbreiten. Auch der Himmel lächelt dazu und verströmt Wohlgeruch; und während die Menschen die angenehmen Boulevards entlangpromenieren, scheint das milde Klima auf einen Schlag die Lebensgeister zu erwecken. Eine Fülle von Blumen spendet uns in verschwenderischer Pracht ihren süßen Duft und verleiht der märchenhaften Szenerie Frische. Natur und Kunst wirken glücklich zusammen, um den Sinnen zu schmeicheln und das gefühlvolle Herz zu rühren.«
Die glücklichen Stunden im Zaubergarten des Bois de Boulogne, vorbei.
Sei Mann! Sei Weib!
Artikel X der Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin: »Die Frau hat das Recht, das Schafott zu besteigen, gleichermaßen muß ihr das Recht zugestanden werden, eine Rednerbühne zu besteigen«. Olympe de Gouges, die das 1791 geschrieben hatte, wurde am 3. November 1793 hingerichtet. Der Konvent verbot alle revolutionären Frauenvereine und schickte die Frauen zurück ins Haus, wo sie seiner Meinung nach von Natur aus hingehörten.
»Seit wann ist es Frauen
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