Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)
kränken; liebt mich, beweint mich – ich hätte können ein außerordentliches Geschöpf werden, ich weiß es, aber seht, ich bin nichts. Sehn Sie mich doch an, Luise, finden Sie nicht in den beständigen Widersprüchen ein unbegreifliches Schicksal?«
* * *
Im biederen Göttingen muß Therese wie ein Wesen von einem anderen Stern gewirkt haben. Klein und knabenhaft schlank, sah sie mit ihren »Glutaugen« und dem dunklen lockigen Haar wie ein Zigeunerkind aus, was mit ihrem »feurigen« quecksilbrigen Temperament zusammenstimmte. Mit beängstigender Heftigkeit konnte sie sich in ihre Gefühle und »wilden Phantasien« hineinsteigern. Sie war überhaupt nicht so, wie man sich Mädchen wünschte (sanft, bescheiden, zurückhaltend, häuslich), und wollte es doch so gerne sein und war stolz darauf, daß sie anders war. Von frühester Jugend fühlte sie sich unter Anklage und ständigem Rechtfertigungsdruck, kein Wunder, daß sie es in der Kunst der entschuldigenden Selbstverteidigung zur Meisterschaft gebracht hat. In den vielen Geschichten, die sie von sich erzählt hat, sind Wahrheit und Fiktion so kunstvoll miteinander verwoben, daß man nie genau weiß, ob und was man ihr glauben soll.
Therese war die Älteste von vier Geschwistern (eine Schwester, zwei Brüder), mit denen sie um die Liebe und Aufmerksamkeit des Vaters konkurrierte – »die Kinder beten den Vater an, aber außer ihm gibt's auch keinen Sterblichen, der nicht Gegenstand ihrer Verachtung wäre«. Doch ihre Sehnsucht nach Nähe blieb unerfüllt. »Ich war stets sein Liebling, ich soll sein Ebenbild sein«, analysierte sie später. »Aber er wußte nie das Glück als Freund mit seinen Kindern zu leben, sich zu verschaffen, nachdem doch sein fühlendes Herz ein langes Menschen Leben durch strebte. Er ist mir zu ähnlich, und weil er seine Fehler in mir erkennt stößt er immer mit Härte gegen mich an.« Die Heftigkeit zum Beispiel hatte sie von ihm. Sie war dabei, als der Vater ihre schöne aufsässige Schwester Marianne im Zorn fast erwürgt hätte.
Professor Heyne, der durch eisernen Fleiß aus einfachen Verhältnissen zu einem einflußreichen, geachteten Mann aufgestiegen war, hatte traditionelle Vorstellungen, was die Geschlechterrollen angeht. »Eine Frau mit schlichtem Verstande muß für einen lebhaften Geist ein großes Glück sein; einen glänzenden Verstand, zumal an einer Frau, seh ich nie für ein Glück an, einerder glänzen will, ist mir ein Jammer.« Regelmäßigen Unterricht erhielt Therese nicht, aber sie bekam natürlich zu Hause viel mit. »Kluge Leute«, Studenten und Professoren, gingen bei Heynes ein und aus. Therese hörte zu, und sie las, jeden Tag viele Stunden, was gerade im Gespräch war, was sie interessierte, am liebsten tränenselige englische Romane, in denen den Frauen die Opferrolle der bedrängten, leidenden Unschuld zugeteilt war.
Und die Mutter? Therese hat von ihr später das haßerfüllte Bild einer lieblosen, faulen, schamlosen, an Leib und Seele schmutzigen Schlampe und Ehebrecherin gezeichnet, die ihre Kinder verwahrlosen ließ. Selbst wenn sie sie damit getroffen haben sollte, was ziemlich unwahrscheinlich ist, erklärt das nicht die Heftigkeit der Attacke, die ein Tabubruch, ein Muttermord in effigie ist. Das klassische Beispiel einer Projektion!
Der letzte Liebhaber der Mutter war laut Therese der aus Franken stammende Johann Nikolaus Forkel, der zum Jurastudium nach Göttingen kam und dann im musikalischen Fach Karriere machte. Die Nachwelt kennt ihn als Verfasser der ersten Bach-Monographie und Mitbegründer der universitären Musikwissenschaft. Therese schildert ihn als »häßlich, plump, unwissend in allem außer der Musik«. Wenn ihr Mann nicht zu Hause war, habe die Mutter als Zeichen für ihren Liebhaber ein weißes Band aus dem Fenster gehängt, das Verhältnis sei öffentlich geworden, es habe abscheuliche Auftritte gegeben, bei welchen dem jungen Menschen das Haus verboten worden sei. »Aber meines Vaters Weichheit und ihre Verzweiflung oder was sonst? und des Menschen Unverschämtheit brachte ihn wieder an seinen alten Fleck im Hause, und das sieben Jahre lang. Mein Vater muß unendlich gelitten haben, und am mehrsten durch die Demütigung, daß so ein Mensch ihn beschimpfe und daß seiner Frauen Alter sie noch mehr lächerlich machen mußte.«
Therese war zwölf Jahre alt, als die Mutter starb. In zweiter Ehe heiratete Heyne Georgine Brandes, eine attraktive und gescheite junge Frau,
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