Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)
wird Humboldt wieder Gelegenheit zu vertrauten Gesprächen mit Therese gefunden haben. Als er sich Anfang Januar des nächsten Jahres brieflich für Forsters ziemlich skeptisch ausgefallene Glückwünsche zu seiner Verlobung mit Caroline von Dacheröden bedankte, nutzte er die Gelegenheit zu einem Plädoyer für die offene Ehe. Er erklärte die Wahrheit der Empfindung zu ihrem einzigen Gesetz und machte sich damit auf taktvolle, aber unmißverständliche Weise zu Thereses Anwalt.
Das Unglück so vieler Ehen entspringe wohl nur daraus, »daß die Enge der gegenseitigen Empfindungen nicht immer der Enge des Verhältnisses gleich« sei, begann er vorsichtig. Aber es hänge doch schließlich von uns ab, »diese Ungleichheit aufzuheben« und, da die Empfindung sich nicht zwingen lasse, »das Verhältnis ihr anzupassen«. Dazu gehöre auch die Klugheit, einzusehen, daß man eheliche Rechte nicht erzwingen dürfe, »daß gewisse Dinge aufhören zu sein, was sie sind, wenn nicht die Empfindung sie gibt, sondern Ideen von Pflicht, Nachgiebigkeit, Mitleid sie erpressen, und – wenn man es noch so nennen darf – Feinheit genug, da keinen Genuß zu finden, wo der gegenseitige Genuß nicht gleich groß ist«.
Als diese Mahnung bei Forster eintraf, war der schon mit Vorbereitungen zu einer Reise mit Humboldts jüngerem, zwanzigjährigen Bruder Alexander beschäftigt. Sie sollte über Brabant (Belgien), Flandern und Holland nach England gehen. Auf dem Rückweg war dann noch ein Abstecher nach Paris vorgesehen. Die Zeit dafür war mit dreieinhalb Monaten sehr knapp bemessen, aber mehr Urlaub konnte und wollte Forster sich nicht leisten. Vor der Welt und Therese rechtfertigte er das kostspielige Unternehmen mit »neuen Geldmitteln«, die es ihm mit etwas Glück einbringen würde. Er glaubte Forderungen an die englische Admiralität zu haben, wollte Sponsoren für ein aufwendiges Buchprojekt gewinnen und nach einem Goldesel suchen: »Er wollte sich nach einem reichen jungen Engländer umsehen, den er auf weiten Reisen begleiten werde, der ungemein viel Geld bezahlen solle.« Außerdem hatte er vor, ein Buch über die Reise zu schreiben, mit dem er viele politisch interessierte Leser anzusprechen hoffte. Angefacht durch die Revolution in Frankreich, war es in Brabant und in den niederländischen Provinzen zu Aufständen gekommen, über die er als Augenzeuge berichten konnte.
Am frühen Morgen des 25. März 1790, einem Donnerstag, gingen Forster und Humboldt an Bord des Schiffes, das sie rheinabwärts bringen sollte. Es war ein trüber Tag, sehr zur Enttäuschung der Reisenden, die für ihren ersten Tag und die Fahrt durch den Rheingau auf Sonne und Frühlingsgefühle gehofft hatten. Statt dessen übersetzte Forster einen ganzen Bogen – sechzehn Druckseiten – eines englischen Reiseberichts über Borneo und labte seine Phantasie »mit jenen glühenden Farben und jenem gewaltigen Pflanzenwuchs des heißen Erdstrichs«, wovon die noch winterlich kahle Gegend um sie herum so gar nichts hatte. Nach dreizehnstündiger Fahrt kamen sie nachts bei Mondlicht in Boppard an und begaben sich auf Zimmersuche. Das erste Wirtshaus war ausgebucht, im zweiten waren alle Fenster eingeworfen, das dritte war so schmutzig, daß sie im vierten einkehren und sich mit »einer kalten Kammer und einem gemeinschaftlichen Lager« begnügen mußten. Sie machten einen »mineralischen Gang« in die Umgebung, tranken von dem russischen Tee, den Therese vorsorglich eingepackt hatte, und verbrachten dann noch einige Stunden mit Schreiben, obwohl sie todmüde waren und das Licht (abgesehen von gelegentlichen »Feuerwerken«) so funzelig brannte, daß sie kaum ihre Schriftzüge erkennen konnten.
»Ich war eben im Begriff, meine beste Therese, unserer Philosophie eine Lobrede zu halten, als mir einfiel, daß im Grunde wenig dazu gehörte, um sich in ein Schicksal wie das unsrige zu finden, welches uns Feder, Dinte und Postpapier gestattet, um an Dich schreiben zu können. Freilich wäre es schöner gewesen Dir alles was ich jetzt auf dem Herzen habe, mit der angenehmen Erwartung einer süßen Nachtruhe zu sagen, aber es hat doch auch etwas interessantes hier von Abenteuern reden zu können.«
Am nächsten Tag schrieb Forster an seinem Brief weiter, erst »auf dem Rhein, zwischen Lahnstein und Koblenz«, dann im Wirtshaus in Andernach, wo er ihn auf die Post gab, den ersten von vielen langen Briefen, die in den nächsten Wochen an seine Frau gingen.
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