Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)
durchdringen.«
»Welch einen schönen Tag haben wir heute verlebt, meine Gütigste! Heut ist das erste, durchaus schöne milde Wetter uns zu Teil geworden. Um sechs Uhr verließen wir Leiden unter dem unaufhörlichen Gesange der Vögel, und sobald wir eine kleine Strecke auf der Treckschuite gefahren waren, umflatterten uns die Kibitze und die großen Brachvögel, die Schnepfen, die Meerschwalben – und alles jauchzte und jubelte in der Luft und auf den Wiesen. Das bunte Vieh in kleinen Herden, die aber auf der unermeßlichen Ebene mehrere tausend Stück ausmachten, belebte die Landschaft, die hier mit frischem, smaragdfarbenem Grün prangte; der Himmel war von reinstem Blau; ein leises Lüftchen liebkosete die spiegelglatte Welle des Kanals auf dem wir hinglitten, und der Spiegel in der Kajüte malte uns unaufhörlich dieselben Aussichten zum zweitenmal, die nun in entgegengesetzter Richtung vor unsern Augen vorüberflossen.«
»Wir pflückten die Blumen aus dem Rasenbett und hielten die rosenrot schattierten Gänseblümchen (Humboldt nennt sie Studentenblümchen) hoch über uns in das Licht, gegen den lasurnen Himmel, und da war es doch in der Tat, als wäre das Rosenrot in das Blau hineingehaucht, so zart sind die Blättchen, von der Sonne durchschimmert, und so rein, so ätherisch sind die Farben der Tausendkünstlerin Natur. Es ist mir unmöglich zu beschreiben mit welcher Empfindung ich jetzt alles von Dir getrennt genieße und wahrnehme.«
Arm in Arm
»Wir konnten diese Reise zu keiner glücklicheren Zeit machen als gerade jetzt«, schrieb Alexander von Humboldt noch von unterwegs – von England aus – an einen Freund. In jugendlicher Unbeschwertheit scheint er von Forsters Eheleiden kaum etwas mitbekommen zu haben. Sie waren durch alle Provinzen gekommen, hatten wichtigen politischen Ereignissen »beigewohnt« und viele interessante Bekanntschaften gemacht. Forsters Name hatte ihnen alle Türen geöffnet. »Unsere Rückreise über Paris wird nicht viel mehr als Durchreise sein. Wir werden nur wenige Tage bleiben und Forsters Urlaub von 3 1 / 2 Monaten wird dann schon abgelaufen sein.«
Das Konföderationsfest am 14. Juli, das der abschließende, krönende Höhepunkt der Reise hätte sein können, erlebte er deshalb nicht mit. »Wir verließen Paris wenige Tage vor dem großen Feste, Forster wollte nicht zögern, sein Urlaub war um – und ich hatte seiner Frau versprochen, mich nie von ihm zu trennen, also mußte ich mit ihm zurück.« Aber vielleicht waren die Vorbereitungen sogar eindrucksvoller als das Fest selbst? »Der Anblick der Pariser, ihrer Nationalversammlung, ihres noch unvollendeten Freiheitstempels (zu dem ich selbst Sand gekarrt habe) schwebt mir wie ein Traumgesicht vor der Seele.«
Für Forster war diese Erfahrung »herzerhebend«. Eine Lebenswende!
»Ich sah die Zurüstungen zu diesem Feste, das beispiellos in den Jahrbüchern der Menschheit bleibt. Das größte Amphitheater in der Welt, wogegen die berühmten Römischen nur Kinderspiele sind, ward in wenigen Tagen durch die Allmacht des Volkswillens erschaffen. Die verdächtige Trägheit von fünfzehntausend besoldeten Arbeitern ward durch den Enthusiasmus von hunderttausend Freiwilligen vergütet. Im Taumel der Freiheit arbeiteten sie mit einem Eifer, einer Behendigkeit, mit einer Fröhlichkeit, mit einer Verschwendung der Kräfte, die man kaum noch begreift, wenn man sie auch selbst gesehen hat. Unendlich war die Abwechselung der arbeitenden Gruppen, und unbegreiflich, ohne die Begeisterung des Augenblicks in Rechnung zu bringen, die Ordnung, die allenthalben herrschte. Hier waren keine Wachen aufgestellt, hier kannte man nicht die gebieterische Stimme des Aufsehers, und noch weniger seinen Stecken; auch die Bienen und Ameisen bauen ohne Tyrannen und Satelliten, und vollenden doch in Eintracht den Bau ihres kleinen Freistaats.Die Gerechtigkeit des Volkes heiligte eines jeden Eigentum, und schützte jedermann in seinem Recht. Kleidungsstücke und Uhren, die man während der Arbeit von sich gelegt hatte, blieben den ganzen Tag unberührt an ihrer Stelle liegen. Mit Trommeln und Kriegsmusik, die Schaufeln auf der Schulter, zogen die begeisterten Scharen Arm in Arm unter Freiheitsgesängen zu ihrem Tagewerk, und später als die Sonne verließen sie das Feld. Alte und Junge, Männer und Weiber, Herzöge und Tagelöhner, Generalpächter und Schuhputzer, Bischöfe und Schauspieler, Hofdamen und Poissarden, Betschwestern und
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