Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)
der Menschheit leben und sterben wollen – den Freiheitsbaum!
Nehmt Teil an den Empfindungen, an der Begeisterung, ander Freude Eurer Mitbürger, feiert den frohen Tag in Eintracht und in Fröhlichkeit – er ist der erste Tag eures neuen Lebens.
Im Namen vieler Freunde der Freiheit und Gleichheit ladet Euch hiezu ein
Euer Mitbürger Forster«
Es war Winter. Eine Belagerung der Stadt konnte erst in einigen Monaten beginnen, was dem freien Mainz noch eine Galgenfrist verschaffte. Forster und seine politischen Freunde waren entschlossen, sie zu nutzen, um den Anschluß einer »Rheinischen Republik« an Frankreich unter Dach und Fach zu bringen und die zögerlichen Bürger durch revolutionäre Propaganda dafür zu gewinnen. Am 1. Januar 1793 erscheint Die Neue Mainzer Zeitung oder der Volksfreund zum erstenmal. An vielen Orten wurden Freiheitsbäume aufgestellt, man tanzte auf Bällen der Freiheit und Gleichheit. Im Klub redete Forster jeden Tag ex tempore , zu Hause wurde weiter diskutiert, mit Gästen oder im engsten Zirkel mit Caroline und Meta. Trotzdem fand er noch Zeit für lange, liebevolle Briefe an Therese, die er mit Geld unterstützte. Dank des Berliner Darlehens war er nun wieder flüssig.
Doch sosehr sich Forster und seine Mitstreiter auch mühten, die Mainzer Bevölkerung blieb weiterhin lau, schon aus Selbsterhaltungstrieb, aus Angst vor der Wiedereroberung der Stadt durch die Allierten, auch wenn ihnen Forster hoch und heilig versicherte, das sei völlig undenkbar. Die französischen Befreier ihrerseits wurden ungeduldig und traten immer offener als Besatzungsmacht auf, was ihre Beliebtheit nicht eben steigerte. Im Jakobinerklub kam es deswegen zu heftigen Auseinandersetzungen, bei denen auch persönliche Animositäten und Rivalitäten ausgetragen wurden.
Eine schwierige Ausgangslage für die bevorstehenden Wahlen, bei denen die Bevölkerung über den Anschluß an Frankreich abstimmen sollte. Eigentlich hatten sie längst stattfinden sollen, doch weil man noch zwei Kommissare aus Paris erwartete, verzögerten sie sich, zum Ärger Forsters, der die Mainzer möglichst schnell zu Franzosen machen wollte. Seine von Therese manchmal beklagte »sultanische« Ader, ein Erbteil des Vaters, trat offen zutage.
»Die National-Convention schickt uns Kommissarien und läßt die eroberten Länder nun wirklich in Besitz nehmen, und alle adelige und geistliche Güter sequestrieren. Die ganze Herrlichkeit hat also ein Ende, und es ist gut, daß sie sich nur bald deklarieren, sonst müssen sie frei werden, sie möchten wollen oder nicht.«
Doch trotz allen Ärgers und obwohl er von früh bis spät rastlos tätig war, ging es Forster so gut wie lange nicht mehr, auch gesundheitlich, trotz des miserablen, »unerhört nassen« Wetters. Er galt etwas, konnte etwas bewirken. An herausgehobener Stellung arbeitete er an einem welthistorischen Projekt mit, für eine bessere Zukunft, für das Glück der Menschheit. An diesem großen Ganzen gemessen schienen seine Eheprobleme ziemlich unbedeutend. Nun, ohne Therese und Huber, war er wieder Herr im eigenen Haus. Er hatte gleich zwei Freundinnen, bei denen er sich aussprechen konnte. Und weil Therese fern von ihm war, konnte er sich ihr wieder ganz nah träumen.
Kurz vor Neujahr, am 25. Dezember, verabschiedete er sich von seinem Zopf und damit symbolisch vom Ancien régime . »Der Friseur verrichtete diese große Operation und alles behauptete, daß ich sehr zu meinem Vorteil aussehe. Hier ist etwas Haar, zum Beweis, daß die Sache wirklich geschehen sei«. Und forderte Therese auf, »rein republikanisch« zu bleiben und es mit den Jakobinern zu halten. So wie er selbst es tat, mit einem höhnischen »Tod dem König«, dem in Frankreich zu dieser Zeit der Prozeß gemacht wurde. (Zur Feier der Hinrichtung ließ er sich einen Schnurrbart wachsen!)
»Ich glaube nicht, daß es dem dicken Capet gut geht. Paris leidet es nicht und Frankreich auch nicht. Er wird dran müssen, oder es gibt noch eine Revolution. Wir leben in einer sonderbaren Krise, wo es nicht mehr möglich ist, Mittelstraße und Mäßigung zu beobachten, wo es Pflicht sogar wird, zu Extremen zuweilen zu greifen. Nur, daß es Männer mit reifer Einsicht und Überlegung, mit umfassendem Geist und festem vollen Herzen tun, nicht leidenschaftliche Schwärmer oder kurzsichtige selbstzufriedene Toren!« Extremismus als Bürgerpflicht der geistigen Elite?
Viel stille Freude sei zu einem solchen Zeitpunkt nicht zu
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