Auf fremdem Land - Roman
und seinen kleinen Sohn und machte Frühstück für alle.
»Was ist los?«, fragte seine Frau, und er antwortete:
»Nichts, ich bin einfach bloß früh aufgewacht.« Doch sie kannte ihn lange genug. »Musst du dort hinfahren?«, fragte sie.
Er antwortete rasch: »O weh, fang bloß nicht damit an. Ja, ich muss dort hinfahren. Wo liegt das Problem? Ich hab dir tausendmal erklärt, dass das eine sichere Straße ist, dass die Armee dort herumfährt, dass …«
»Dass schon seit zwei Jahren niemand dort getötet worden ist, ich weiß, statistisch ist die Chance, bei einem Verkehrsunfall mitten in Israel zu sterben, viel höher.«
»Papa, schau«, sagte der Junge, »Papa, schau.« Er zeigte auf seinen Teller, bezweckte eindeutig nichts damit, außer die Diskussion seiner Eltern zu beenden, weniger aus dem Verlangen, Frieden zwischen ihnen zu stiften, als aus dem Drang heraus, ihre Aufmerksamkeit zurückzugewinnen.
»Ich seh’s«, erwiderte Ariel. »Wie schön, eine Pflaume!«
»Blaume«, antwortete sein Sohn.
Im Auto fragte er sich: Muss ich dort hinfahren? Weshalb habe ich einen Tag Urlaub genommen? Er schaltete Razi Barkais Morgenradio ein: Siedlungen, der Präsident der Vereinigten Staaten, der Ministerpräsident. Uninteressant. Er wechselte zu 88 FM , die Klimaanlage spuckte kalte Luft, die Sonne ging vor ihm auf, während er nach Osten fuhr.
Auf der Straße 433 begann sich seine Gelassenheit zu verflüchtigen. Roni hatte zwar recht, beim zweiten Mal war es etwas weniger beängstigend, aber dennoch hatte man das Gefühl, als stiege die Spannung rasant. Nicht unbedingt wegen der belasteten Geschichte dieser Straße durch die besetzten Gebiete, sondern eher auf Grund der tatsächlichen Veränderungen: Die Außentemperatur, die auf dem Armaturenbrett angezeigt wurde, sank, die Landschaft veränderte sich, die Hügel wurden kahl, arabische Dörfer und Anwesen wurden am Straßenrand sichtbar. Dann war da die Straßensperre, die er passierte, und die Trennmauer, die zu beiden Seiten der Straße auftauchte – keine Ahnung, ob er sich jenseits der Mauer befand oder innerhalb, in einem schmalen Korridor? Auch die Luft war anders, und nach Jerusalem die Ausfahrt, wie aus einem Vakuum, in gelblich blasses Braun Richtung Wüste, zu weiteren Dörfern und Moscheen, zu gelben palästinensischen Taxis und Lastern – grüne und weiße Nummernschilder erhöhten seinen Blutdruck, die gelben israelischen beruhigten ihn zwischendurch –, und auf einmal wechselte das Radio von selbst den Sender, von 88 FM zu arabischer Musik. Seine Hände umklammerten fest das Steuerrad, sein Atem stockte, der Blick irrte zwischen den Hügeln, der Straße und den Autos umher, diese Araber fahren wie die Verrückten, flüsterte er vor sich hin und sah vor seinem geistigen Auge, wie einer der Lastwagen umbarmherzig in ihn hineindonnerte, nicht in mörderischer Absicht, sondern wegen des wilden, verantwortungslosen Fahrstils. Das Telefon klingelte, doch er fürchtete sich davor, ein banales Gespräch zu führen, hielt weiter das Lenkrad umklammert, konzentriert, es ging steiler hinunter und hinauf, keine Sorge, jeden Tag fahren Hunderte Israelis auf dieser Straße, schon seit Jahren ist hier keiner mehr gestorben, und Steine werfen sie auch kaum mehr. Trotzdem, er hatte keine Sicherheitsverglasung wie die Siedler. Konnten sie das wissen, die Araber? Er schwitzte trotz Klimaanlage, verstand nicht, wozu er hinfuhr, noch eine Geschäftsidee, die genau dahin führen würde, wo alle seine früheren Geschäftsideen verendet waren. Warum brachte er es nicht fertig, sich mit dem zu begnügen, was er hatte und was nicht wenig war: ein Buchprüfer, ein mittelständisches Büro im israelischen Zentralland, verheiratet mit Kind. Aber vielleicht musste man, gerade um einmal Erfolg zu haben, ein echtes Risiko eingehen, etwas tun, das nicht jeder tat.
Die Bunker der Armee wirkten tröstlich, die roten Ziegeldächer beruhigend. Er hätte nie geglaubt, dass er je so empfinden würde, doch die Abzweigung zu den Siedlungen kam zur rechten Zeit, und draußen vor dem gelben Stahltor, das sich vor seinem Toyota mit gelbem Nummerschild problemlos öffnete, sah er die Fahrzeuge der Araber und die Araber warten, und er fühlte sich sicher, als er drinnen war, was er sich nicht gerne eingestand, denn er hatte ja kein Problem mit den Arabern, sie hatten mehr verdient, er unterstützte die verrückten Siedler nicht, doch innerhalb der Grenzen ihres Sektors fühlte er sich
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