Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auf fremdem Land - Roman

Auf fremdem Land - Roman

Titel: Auf fremdem Land - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
Vom Netzwerk:
sangen, »Horch! Mein Geliebter! Sieh da, er kommt, er springt über die Berge, hüpft über die Hügel …«, und Joni klatschte ihnen Beifall, bis sie verlegen kichernd von vorn begannen.
    Nechama platzierte ihren schweren Leib auf einen Felsen; ihr Jeansrock umhüllte die geschwollenen Knöchel, und unter dem schwarzen Kopftuch perlte der Schweiß. »Vorwärts, Kinder«, sagte sie. »Gleich werden wir in die Höhle gehen, uns drinnen ein wenig abkühlen und dann kehren wir um und gehen zurück.« Die Kinder standen auf. »Zur Erinnerung, in der Höhle haltet ihr euch an den Händen und passt auf, dass ihr nicht ausrutscht. Joni, du bist die Nachhut. Jehu, bind das Pferd an und komm mit hinein.«
    Die Höhlenöffnung zeigte sich nach einem kurzen Abstieg in die steile Schlucht, deren Wände zu beiden Seiten aufragten – weißer Kreidestein und sandfarbene Felsen, dazwischen dornige Bechersträucher und wilder Thymian. Ein ruhiges Steinbockpärchen schien weiter unten am Abhang fast in der Luft zu segeln, das Rascheln von Fledermäusen drang aus den Felsspalten, Steinhühner flatterten rot, und ein aufgeschrecktes Schlangenauge huschte im Zickzack beim Klang ihrer Schritte davon. Sie gelangten zum Eingang der Höhle, eine von etlichen großen Höhlen in der Bergflanke, die Makkabäern und Römern, Mönchen und Banditen, Hirten, kriegerischen Kundschaftern und Kreuzrittern als geheime Zuflucht gedient hatten; auch Füchsen, Stachelschweinen, Leoparden und Schlangen – jedem Lebewesen, das irgendwann einmal durch diese Wüste gezogen war.
    Auf einem breiten Felsabsatz an der Schwelle zur Höhle bat Nechama alle, stehen zu bleiben und in die Schlucht hinauszuschauen. Sie zitierte aus dem Propheten Amos den Vers einer Landschaftsbeschreibung – »Und die Berge werden von süßem Wein triefen, und alle Hügel werden fruchtbar sein«. Und dann warnte sie: »Jetzt gehen wir hinein, und ich wiederhole es noch einmal, alle halten sich an den Händen und passen sehr gut auf, denn der Boden in der Höhle kann glatt sein …«
    »Mama, ich muss Pipi«, hörte man Schneurs Stimme.
    »Schschsch … Schneur, ich rede. Geh zu Joni und sucht einen Platz.«
    Sie erzählte den Kindern etwas über die Geschichte der Höhle und ihre Größe, und sie betraten mit zaudernden, bangen Schritten das dämmrige Innere mit der niedrigen, modrigen Decke.
    »Mamilein«, flüsterte Chanania und verfestigte seinen Griff um Jehus Hand. Jehu streichelte den Nacken des Jungen zur Beruhigung.
    »Passt auf«, fuhr Nechama mit ihrer Gouvernantenstimme fort, »es gibt in der Höhle dreiundzwanzig Räume, sie ist verzweigt und verwinkelt, daher ist es sehr wichtig, langsam zu gehen und die Hand von eurem Nachbarn nicht loszulassen.« Chanania zitterte. Der Lichteinfall von draußen wurde immer schwächer. Drinnen war es kühl und angenehm.
    Chanania wimmerte: »Ich will wieder raus, wieder raus.«
    »Sei still, Chanania, es ist alles in Ordnung, wir gehen gleich zurück«, sagte seine Schwester Debora. Entgegen der ausdrücklichen Anweisungen der Kindergärtnerin ließ sie seine schweißnasse Hand los und betrat einen der Seitenräume, ertastete sich furchtlos ihren Weg.
    »Debora! Debora!«, hörte man die schrille Stimme ihres Bruders Chanania und nach ihm Nechamas: »Debora? Wo bist du? Debora?«
    Es kam keine Antwort. Eine weinende Stimme klang auf, und eine zweite und dritte gesellten sich dazu. Nechama sagte laut ins Dunkel: »Kinder, keine Angst, haltet euch nur weiter an den Händen.« Aber die Hände waren schweißig, klein und glitschig, und auch der Boden war glatt. »Die Erwachsenen, alle an den Händen nehmen und zurück zum Ausgang!«, befahl Nechama in Furcht, die Kontrolle zu verlieren, und ihr Herz schlug jetzt schneller. »Debora? Bist du da? Debora!?« Sie spürte, das war der Schlüssel, der Ursprung der Not, die Stille ohne Antwort. »Debora?« Das Schluchzen der Kleinen ließ nach, als Joni, Jehu und Gittit sie trösteten und streichelten, und alle kehrten zur Mündung der Höhle zurück.
    Debora stand wie erstarrt in einem der inneren Räume. Nechama hörte ein Wispern, betrat den Raum, legte ihr eine Hand auf die zarte Schulter und blickte hinter sie.
    »Ich weiß nicht, irgendwas hat mich hierhergezogen«, flüsterte Jakirs Zwillingsschwester.
    »Hast du etwas gehört?«
    »Nein, ich hab nichts gehört. Nicht mit den Ohren jedenfalls.«
    Sie standen da und starrten, nicht sicher, worauf, jedoch gewiss, dass es etwas

Weitere Kostenlose Bücher