Auf fremdem Land - Roman
Außergewöhnliches war, in der Dunkelheit schwer auszumachen, ein Haufen in einer Ecke des Raums. War jemand vor kurzem hier gewesen und hatte etwas vergessen, was war das? Debora näherte sich, streckte die Hand aus, um es zu berühren, und es klirrte … Münzen? Debora drehte den Kopf und blickte Nechama erstaunt an, und dann, nach ein paar Sekunden, legte sie den Kopf schräg, um zu lauschen, denn ein neuer Klang war im Raum zu vernehmen, was war das? Wasser? Auch Nechama spitzte die Ohren, beide standen nebeneinander, die Köpfe schräg in entgegengesetzte Richtungen geneigt. Konnte es sein, dass in der Höhle Wasser plätscherte? Hier war doch noch nie … Das Wasser hörte sich wirklich nah an, und Debora fragte: »Nechama? Hörst du das?« Nechama bejahte. Und erst dann ging ihr auf – das war sie, ihr ging Wasser ab, das Fruchtwasser ihrer dritten Tochter strömte mitten in der Höhle zwischen ihren Beinen heraus, und sie sagte zu Debora: »Geh. Langsam. Langsam. Zur Öffnung. Der Höhle. Und ruf. Gittit. Und Joni. Sollen kommen. Mich. Hinausbringen. Jehu. Soll zum Stützpunkt. Reiten. Zu Chilik. Mit dem Auto. Dringend. Jetzt.« Und dann setzte sie sich mit einem Atemstoß hin, und Debora machte sich auf den Weg.
Und Nechama blieb zurück, die Hände streichelten den hochschwangeren Bauch, die Wange an die kühle Höhlenwand gepresst, und ihre Lippen bewegten sich im Gebet zu Gott; das Mädchen Debora setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen bis zur Höhlenöffnung und schrie. Jehu galoppierte auf Killer los, das Haar und die mächtigen Schläfenlocken unter der tellergroßen Kipa des jungen Mannes flatterten wild im Wind; die beiden preschten durch das Feld den Sandweg zur Siedlung hinauf, Killer wieherte, das Eisentor öffnete sich, und der Reiter und sein Pferd jagten zur fünften Wohnstatt von rechts auf der Ringstraße.
Unterdessen, vor Ort, waren Joni und Gittit die einzigen Erwachsenen bei den Kindern. Trotz der starken Hitze trugen beide lange, dicke Kleidung, er seine grüne Armeeuniform und sie eine weiße Baumwollbluse und einen dunklen Rock, der zehn Zentimeter übers Knie reichte. Sie wechselten vielsagende Blicke miteinander und unterdrückten ein Lächeln, bis Joni sagte: »Geh in die Höhle und finde Nechama, hilf ihr rauszukommen, denn sie braucht Luft, wir bringen sie zur Straße.« Und zu den Kindern sagte er: »Setzt euch hin, Jungen und Mädchen, trinkt Wasser aus den Flaschen und Beuteln, esst Früchte und Brote und Süßigkeiten aus den Taschen und lasst mich versuchen, jemanden zu erreichen …« Er blickte auf sein Mobiltelefon und glitt mit dem Finger über die Namensliste, fand Chiliks Nummer und drückte auf die grüne Sendetaste, obzwar in der Schlucht kein Empfang war – er näherte das Gerät seinen Augen und sah durch die Ray-Ban-Sonnenbrille, dass das Display keine Balken anzeigte. Da sagte er zu den Kindern: »Steht auf, wir gehen zu dem oberen Feld mit dem Wüstenbeifuß, der Stachelschweinzunge oder wie immer sie das Krautzeug vorher genannt hat.« Schneur brach in Tränen aus und fragte: »Wo ist Mama?« Und Joni antwortete: »Mama kommt gleich, Gittit hilft ihr.« Die braven Kinder gingen still und gehorsam hinauf, sogar Schneur hörte auf zu weinen, obgleich er seinen Blick hin und wieder nach hinten wandte und nach seiner Mutter fragte. Joni fragte Schneur: »Wie ist die Telefonnummer von Papa?« Er wollte sich vergewissern, dass er die richtige Nummer besaß, doch Schneur antwortete: »Weiß nicht.« Sein älterer Bruder Boaz jedoch griff ein und sagte die Nummer auf, und Joni tippte sie ein, drückte wieder auf den Sendeknopf und diesmal erreichten die Signale Chilik. Joni erstattete ihm genau in dem Augenblick Bericht, in dem Chilik Killers Hufe draußen vorm Fenster hörte. Sein Gesicht fiel ein, sein Schnurrbart verschwand fast zwischen den Lippen, und er sprang in seinen Wagen.
Chilik hielt an der Stelle, an der der Pfad zur Höhle abzweigte. Er ließ den Motor laufen und rannte zu seiner Frau, die sich auf Gittits schmale Schulter stützte. Gemeinsam schleppten sie sie den steilen Hang der Schlucht hinauf, durch das Feld, vor den Augen der Kinder, und Boaz fragte: »Papa, was hat Mama? Ist Mama tot? Haben die Terroristen sie getötet?«
Chilik erwiderte: »Aber nein, Boaz, der Herr bewahre. Mit Mama ist alles in Ordnung, gelobt sei der Herr, und Papa bringt sie jetzt ins Krankenhaus und kommt, mit Hilfe des Herrn, mit einem kleinen Schwesterchen
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