Auf fremdem Land - Roman
bestätigte der Minister.
»Kurz gesagt, es ist ein sensibler Punkt. Sie werden kämpfen. Ich sage nicht, Lebensgefahr. Ich sage nicht, subversive Organisation. Aber beinharter Widerstand, Alarmierung von Sympathisanten, Gewalt. Ohne Zweifel. Chaos. Ganz zu schweigen davon, dass der Ministerpräsident und die Hälfte der Minister umfallen werden. Ich würde empfehlen, auf eine Evakuierung zu diesem spezifischen Zeitpunkt zu verzichten, wenn das von Ihrer Sicht aus im Bereich des Möglichen liegt.«
»Haben Sie den Zeitungsbericht gelesen? Absolut nichts ist dort legal, die ganzen Genehmigungen, quasi … Wenn wir dort nicht räumen können, wo denn dann …«
»Es gibt jüngere Orte. Provisorischere. Ich kann Ihnen eine Liste machen. Auch im gleichen Areal. Vielleicht wird sich der Präsident damit zufriedengeben. Die Kameraden von Ma’aleh Chermesch 3 sitzen dort schon seit ein paar Jahren, immerhin. Das ist eine Siedlung, die am Anfang eine Genehmigung als Landwirtschaftsbetrieb erhalten und sich inzwischen entwickelt hat. Es gibt Siedlungen, die nicht mal diese Genehmigung bekommen haben.«
»Gut, gut. Jalla . Organisieren Sie uns den Besuch dort, Giora. Sonntagmorgen. Früh. Pini, Sie teilen es dem Botschafter und der Presse mit, besonders der amerikanischen. Giora, Sie sind natürlich mit von der Partie. Avram, danke.«
»Aber was wollen Sie dort sagen?«, fragte Giora. »Dass wir räumen? Oder sie belassen? Wir müssen uns entsprechend abstimmen.«
»Wir auch«, echote der Mann vom Nachrichtendienst.
Der Sicherheitsminister schenkte beiden einen müden Blick. »Wir werden sehen«, sagte er zu ihnen und verließ sein Büro in Richtung Toilette.
Die Hitze
Die Hitze lastete schwer. Der Monat Tamuz hatte seinen Zenith längst überschritten, und es kamen die drei Wochen, in denen die Zerstörung Jerusalems, vom ersten Mauerdurchbruch bis zur Tempelzerstörung, betrauert wurde – lange Tage ohne Feste, die zu Katastrophen einluden. Kühle Limonade wurde aus ausgepressten Zitronen, kaltem Wasser und Zucker zubereitet. Die Kinder verbrachten alle wachen Stunden draußen. Ventilatoren und Klimaanlagen, wer so etwas besaß, arbeiteten auf Hochtouren, und in den übrigen Häusern waren alle Fenster geöffnet – Gabi behauptete übrigens, sein Zimmer sei so gebaut, dass keine Notwendigkeit für eine elektrische Kühlanlage bestehe, da die Anordnung der Fenster und Türen garantiere, dass die Brise am Felsrand im Sommer stets die Luft im Raum umwälze. Er vergaß zu erwähnen, dass die Winde im Winter das Zimmer in die Schlucht von Nachal Chermesch hinunterblasen konnten.
Es war Freitag, Vorabend des Chazon-Schabbats, des Schabbats des 9. Av, dem Tag der Zerstörung unseres Tempels aus müßigem Hass. In den Häusern waren vehemente Vorbereitungen im Gange, es wurde gekocht, Telefone schrillten und dudelten, Räder knirschten und kreischten auf den Sand-, Schotter- und Asphaltstraßen der Siedlung, und neues Geschirr wurde zur rituellen Reinigung ins Wasser der Mikve eingetaucht. Gabi traf mit schweren Tüten aus dem Lebensmittelladen von Ma’aleh Chermesch ein, voll mit Köstlichkeiten für den Schabbat, und sah Roni im Wohnzimmer sitzen, ohne Hemd, vor dem Ventilator.
»Bruderherz«, rief Roni ihm zu, »hast du Diätcola mitgebracht?«
»Nein. Hast du drum gebeten?«, antwortete Gabi.
»Muss ich bitten?«
Das Rascheln der Tüten war zu hören, während Gabi ihren Inhalt auf die Schränke und den Kühlschrank verteilte. Sein Blick streifte das Spülbecken, das von schmutzigem Geschirr überquoll. Seit Roni vor einem halben Jahr angekommen war, hatte er nicht einmal eine Gabel abgespült. Gabi verließ die Küche, stand auf der Schwelle zum Wohnzimmer und legte die Hand oben an den Türsturz. »Was machst du?«, fragte er.
Roni sah nicht gut aus. Er saß mit schlaff ausgestreckten Gliedern in dem Sessel vor dem Ventilator. Sein Blick war zum Fenster gerichtet, müde oder traurig oder einfach gelangweilt. Er saß Stunden so im Wohnwagen, und es schien, als wären die Höhepunkte des Tages für ihn die Unterhaltungen mit Gabi, die normalerweise in Tiraden und Streitigkeiten ausarteten, während sich Gabi dabei ertappte, wie er sich verteidigte und rechtfertigte. Er mochte das nicht, doch er fand sich in diese Gespräche hineingezogen. Vielleicht fühlte er sich verpflichtet, Roni zu helfen, seine Frustration abzuladen. Möglicherweise brauchte er diese Auseinandersetzungen auch selbst, denn er war
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