Auf fremdem Land - Roman
wütend.
»Was ich mache?«, erwiderte Roni. »Weiß nicht.«
Gabi lächelte ihn an. »Schluss, Bruder, es ist Schabbatabend. Es ist eine große Mizva, im Zustand immerwährender Freude zu sein.«
»Ja, ich hab’s gehört. Sag dir das ruhig immer wieder vor, am Schluss überzeugst du dich noch.« Roni versank tiefer im Sessel.
Gabi wandte sich zum Gehen, Roni schloss die Augen. »Geh nicht, einen Moment.« Er seufzte und stieß die Luft aus. »Ich wäre gern immer im Zustand der Freude«, sagte er, »wer möchte das nicht? Aber das ist nicht so einfach. Es ist naiv zu behaupten, wenn man das nur sagt, würde es passieren.«
»Es ist naiv, es nur zu sagen. Aber es ist etwas anderes, wirklich daran zu glauben.«
»Ich sehe keinen Unterschied. Wenn man wirklich daran glaubt, geht die Traurigkeit dann weg? Wo genau geht sie hin?«
»Du kannst das von dort aus, wo du dich befindest, nicht sehen. Ich weiß, dass du gern über alles spottest, was ich sage, aber du befindest dich am Ort der Sünde und Nichtigkeit, nicht des Glaubens. Und es beängstigt dich so sehr, anders zu denken, dass du nichts anderes tun kannst, als zu spotten.« Es war das gleiche Gespräch, mit leichten Variationen, immer wieder. Er wollte nicht in diese ausweglose Schleife zurückkehren, doch er tat es jedes Mal von Neuem.
Roni schüttelte den Kopf. »Du bist nicht orthodox aufgewachsen, du weißt, dass das Rhetorik ist, das sind Klischees von Orthodoxen über Säkulare. Warum ist beten und sich zwanghaft freuen von Wert? Und Leidenschaften sind Nichtigkeiten? Hat der Körper kein Recht auf Begierden?«
»Das sind keine Werte des Judentums. Das sind Werte der Hellenisierten. Körperliche Gelüste sind wie Sonnenstrahlen in einem dunklen Raum. Es scheint, dass sie wirklich sind, bis du versuchst, einen davon einzufangen.«
»Aber sie erhellen den Raum. Sie erwärmen ihn. Was ist schlecht daran? Warum sollte man sie fangen?«
»Damit mehr Tiefe im Leben ist. Licht und Wärme sind an der Oberfläche. Das ist hübsch, aber es gibt mehr. Viel mehr.«
»Wo ist dieses mehr? Zwanghaft fröhlich sein? Du bist doch nicht fröhlich. Und wir wissen, warum. Meinst du, dass du es schaffst, deinen Jungen zu vergessen, wenn du ans Ende der Welt fährst, in der Nacht in die Einsamkeit gehst, dir ein Stück Stoff auf den Kopf klatschst und in der Synagoge wild herumwackelst? Glaubst du wirklich, du schaffst es, Miki zu vergessen?«
Gabi schloss die Augen. Natürlich würde er Miki niemals vergessen. Er erwiderte: »Es ist üblich zu denken, dass Vergessen von Nachteil ist, aber ich bin der Ansicht, dass es ein Vorteil ist. Vergessen zu können bedeutet, sich von allen Beschwernissen der Vergangenheit zu befreien.«
»Na schön. Ein Zitat für jede Gelegenheit«, versetzte Roni mit einem bitteren Grinsen. »Vergessen ist ein Vorteil für den, der Angst hat, sich mit den Erinnerungen auseinanderzusetzen. Was soll das, ›sich von Beschwernissen der Vergangenheit befreien‹? Ist das deine Ausrede, die erklärt, warum du nichts in deinem Leben bis zum Ende durchgezogen hast – Militär, Universität, Vatersein? Vielleicht würde es sich im Gegenteil gerade lohnen, es mit den Beschwernissen der Vergangenheit aufzunehmen, statt sich in Zitate und kluge Sprüche zu flüchten?«
Gabi konnte Ronis gemeine Stichelei fast auf der Zunge spüren. Sein Bruder redete wie jemand, der zu verletzen suchte. Die Diskussionen zwischen ihnen wurden immer bösartiger. »Wer hier Angst hat, das bist du. Warum ist es so schwer zu akzeptieren, dass deine Welt nicht für mich passt? Ich war dort. Das ist nichts für mich. Warum verlässt du dich nicht darauf, dass ich weiß, was gut für mich ist? Ich vertraue auf ihn, gelobt sei er.«
»Es fällt mir schwer, das zu akzeptieren, weil ich dich kenne, vielleicht besser als jeder andere, und du weißt das. Ich rieche aus einem Kilometer Entfernung, was du wirklich fühlst. Ich weiß, wie lange du an jedem Ort durchgehalten hast, und ich frage mich, wie lange du hier aushalten wirst. Wie lange willst du dir selber Geschichten erzählen? Du erzählst dir, dass du stark bist – wie Kupfer, Nechuschtan. Aber schau mal ins Internet, der Name Kupfer hat überhaupt nichts mit Nechuschtan zu tun. Das kommt von Küfer, einer, der Fässer macht.«
Gabi ging in die Küche und begann, das Geschirr im Becken zu spülen. »Ich hab das mit den Fässern gehört«, erwiderte er. »Aber ein Rabbiner, ein Experte für jüdische Namen, hat mir
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