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Auf fremdem Land - Roman

Auf fremdem Land - Roman

Titel: Auf fremdem Land - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
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und riesigen Rucksäcken und kleine, instant-süße Kinder.
    Er war nicht beleidigt und hatte keine Angst, denn er nahm die bedrohliche Härte kaum wahr, mit der das Zollpersonal seinen Rucksack kontrollierte. Er betrachtete die Seite mit den Instruktionen in seiner Hand und fand den Weg zur U-Bahn. Schwankte mit dem metallischen Gerüttel hin und her, über Brücken und unter der Erde, die verschiedenfarbigen Linien, die ihm der amerikanische Jonny im Kibbuz erklärt hatte, vermischten und vermengten sich vor seinen Augen. Mit einer Hand umklammerte er den Rucksack, und sein Blick fand ständig neue Ziele: riesige Anzeigetafeln, ganze Felder von Stadtvierteln, so weit das Auge reichte, zwei Schwarze in lose schwingender Kleidung, Graffiti ohne Ende. Einer mit Anzug sprach mit seinem Nachbarn mit diesem besonderen Akzent, dem von Jonny, wie aus den Filmen. Ein übergewichtiges, unhübsches Mädchen mit verdrossenem Gesicht, ihr nasser Kopf vom Kopfhörerbügel eines Walkman eingerahmt. Orangefarbene und gelbe Sitze leerten sich und füllten sich, wurden frei und wieder besetzt. Ein Durchsagesystem, das die Wörter ineinanderfließen ließ. Ein heißer, erstickender, anderer Geruch, alles so anders.
    Als er aus dem Bauch der Erde ausgespuckt wurde, erschlug ihn die schiere Größe. Die Stadt erhob sich über ihm, brachte ihn dazu, sich wie ein stinkendes schwarzes Käferchen auf dem Kibbuzpfad im Sommer seiner Kindheit zu fühlen. In den Augenblicken der ersten Bekanntschaft betrachtete er mit staunendem Lächeln die Dämpfe, die aus den Kanaldeckeln waberten, die Menschenmassen und die Höhe der Gebäude.
    Er blieb vor einem McDonald’s stehen. Davon hatte er gehört. Er stöberte in der Hosentasche, untersuchte die schwarz-grünen Geldscheine, und dann ging er hinein. Als er vor den bebilderten Menüs stand, fiel ihm ein, dass das ein Lokal mit Hamburgern war. Fast zehn Jahre lang hatte er kein Fleisch angerührt, seit seiner Entführung im Kibbuz. Doch plötzlich stieß es ihn nicht ab. Er war zu hungrig, zu müde, und er kannte nichts anderes. Er beschloss, es zu probieren. Die weiche Semmel, das säuerliche Ketchup, die knusprigen Pommes, sogar das Hackfleisch – er mochte es. Mit schwindelndem Kopf erreichte er schließlich die kleine Wohnung von Eres, Jotams Cousin.
    Es war nicht leicht. Eres war nicht nett. Uninteressiert. Gabi spürte, dass Eres eigentlich niemanden in seiner Wohnung beherbergen wollte, die sehr klein war und in der noch ein Israeli wohnte, der kein Wort sprach. Gabi schlief auf dem Futonsofa im Wohnzimmer, und am ersten Morgen redeten Eres und sein Mitbewohner neben ihm miteinander, als sei er gar nicht vorhanden, und dann brachen sie zur Arbeit auf. Gabi ging hinaus und lief ein bisschen in den Straßen in der Nähe des Hauses herum, aß bei McDonald’s, denn irgendwie war es sogar nett dort, betrat Geschäfte, sah sich um, doch er brauchte nichts, also kehrte er wieder in die Wohnung zurück. Jonny hatte ihm empfohlen, sich den Central Park anzuschauen, die Freiheitsstatue und ein paar Museen, doch er hatte keine besondere Lust dazu.
    Eres fragte ihn, ob er am nächsten Tag arbeiten wolle. In seiner Umzugsfirma suchten sie jemanden. Am folgenden Morgen weckte er Gabi um sechs und nahm ihn mit der U-Bahn ins Büro mit. Auf dem Weg erzählte er, dass er zu einer Drei-Tages-Tour aufbreche. Als sie ankamen, verwies er Gabi an einen Typ, der ebenfalls Eres hieß, stieg mit seiner Mannschaft in den Laster und fuhr los.
    Wie die Stadt war auch dieser Ort groß, chaotisch und überladen. Fahrer und Arbeiter in roten Hemden rannten hin und her. Dutzende rote Lastwagen starteten knatternd, fuhren hinaus und hinein, Leute brüllten in Hebräisch. Der zweite Eres war eine Spur netter als der erste, doch auch nicht gerade gesprächig. Er ließ Gabi einen Vertrag unterschreiben, gab ihm ein rotes Hemd und führte ihn zu einem Lastwagen, in dem bereits ein dunkelhäutiger Fahrer wartete, der nervös mit den Fingern der rechten Hand aufs Lenkrad trommelte und mit der linken rauchte. Er hieß Victor.
    Kartons. Und noch mehr Kartons. Und auch noch Sofas, Tische, Stühle, Kommoden. Von oben nach unten, von unten nach oben. Aus der Wohnung hinaus in den Aufzug, aus dem Aufzug hinaus auf die Straße durch die Hintertür und vom Gehsteig in den Bauch des Lasters. Die Kartons wogen weniger als ein Bananenbüschel, doch sie ließen sich schwieriger festhalten und waren weniger angenehm anzufassen, oder

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