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Auf fremdem Land - Roman

Auf fremdem Land - Roman

Titel: Auf fremdem Land - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
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Während der Feiern der Erstlingsfrüchte hatte er das Gefühl, dass er das Geschehen am Rande beobachtete, nicht beteiligt, nicht zugehörig war, und er begriff: Das war ein Problem. Er wollte nicht als Sonderling angesehen werden. Doch er wusste nicht, was er dagegen tun sollte. Ihm war schon klar, dass er nicht wirklich wie Ezra Dudi war, der angeblich an einem leichten Gehirndefekt litt. Sein Verstand und seine Seele waren mehr oder weniger gesund, die Kurzschlüsse in seinem Hirn, die es immer mal wieder gegeben hatte, waren Abweichungen im Normbereich – die Armeepsychologen, mit denen er in seinem Militärdienst gesprochen hatte, hatten das bestätigt und hinzugefügt, dass er über eine hohe Intelligenz und Ausgewogenheit verfüge. Doch er hatte kein Geld, um aus dem Kibbuz wegzugehen, und Tel Aviv lockte ihn nicht. Mit Vater Jossi zu reden war ihm unangenehm, und wenn Roni zu Besuch kam, hatte er das Gefühl, dass sein Bruder im Grunde kein Interesse an ihm hatte.
    Wie bereits zuvor an wichtigen Scheidewegen in seinem Leben half Onkel Jaron, ihm die Richtung zu weisen. An dem Wochenende nach dem Schavuotfest fuhr Gabi zu ihm, in den Kibbuz auf den Golanhöhen, genoss wie immer die kühle Luft und den schweren Geruch nach Kuhmist, den er, während er in der groben, geräumigen Hängematte lag, tief in die Brust sog.
    »Das ist wie im Ausland«, lächelte der Neffe den Onkel an, und dieser erwiderte: »Woher weißt du das, du warst nie im Ausland.«
    Der Neffe sagte: »Stimmt, aber hier ist das nächste an Ausland, was für mich möglich ist, also lass uns sagen, es ist wie Ausland.«
    Worauf der Onkel fragte: »Willst du ins Ausland fahren?«
    Und der Neffe hielt einen Augenblick inne, nicht im Schaukeln in der Hängematte, denn die bewegte sich kraft Trägheitsgesetz der Masse, sondern in seinen Gedanken, denn er hatte noch nie an diese Möglichkeit gedacht.
    Und dann fiel ihm ein, weshalb er nie an die Möglichkeit gedacht hatte, und er sagte: »Wie soll ich ins Ausland fahren? Ich hab keinen Groschen in der Tasche.«
    Onkel Jaron, mit seinem kahlen Eierkopf, seinem Glasauge und seinem halb weggesprengten Ohr, wirkte älter als sonst. Bisher hatte Gabi dem keine Beachtung geschenkt, doch Onkel Jaron Kupfer hatte nie geheiratet, nie eine Familie gegründet; er war mit dem Kibbuz verheiratet oder, richtiger gesagt, mit den Golanhöhen. Hatte ihnen gehuldigt mit seinem Auge und seiner Ohrmuschel, und sie gaben ihm dafür Erde, Basalt und frische Luft. Er blickte seinen Neffen an und sagte:
    »Hör zu.« Und Gabi hörte zu.
    Onkel Jaron erzählte, dass ihm, nachdem er sämtliche Angelegenheiten erledigt hatte, die mit dem Tod seines Bruders Ascher und seiner Schwägerin Riki in Zusammenhang standen – das Begräbnis, die Ausrichtung der Trauerwoche, die Suche nach einem Kibbuz für die Kinder, Verkauf der Wohnung in Rechovot, Lokalisierung der Ersparnisse und Auflösung der Bankkonten –, eine stattliche Geldsumme geblieben war. In Absprache mit Rikis Vater und Schwester hatte er ein Sparkonto für Roni und Gabi angelegt, bis zu ihrem einundzwanzigsten Lebensjahr. Dieses Konto verheimlichte er dem Kibbuz, der die Kinder aufnahm. Der Kibbuz erhielt ohnehin einen hübschen Batzen als Anteil für das Eingliederungsarrangement. Sie mussten nicht alles bekommen, hatten Jaron, der Großvater und die Tante beschlossen. Das Sparkonto wuchs, trug Zinsen und schwoll mit den Jahren an, und Onkel Jaron behielt es weiter im Auge, lenkte es in die richtigen Kanäle und stockte es mit eigenem Geld auf. Denn Onkel Jaron hatte, abgesehen von dem Verantwortungsgefühl, das sich von selbst verstand, entsetzliche Schuldgefühle. Er hatte Ascher und Riki an jenem Wochenende in seinen Kibbuz eingeladen, er hatte sie überredet, in der Nacht und nicht in der Früh, wie sie geplant hatten, zurückzufahren. Und deswegen gab er sein Geld – so viel er als Genosse eines Pionierkibbuz auf den Golanhöhen verdiente – in die Sparanlage. Als der Großvater, Rikis Vater, starb, floss noch einmal eine ordentliche Portion auf das Konto.
    Gabi fragte: »Warum hast du bis jetzt nichts davon gesagt?«
    »Ich habe darauf gewartet, dass du zu mir kommst, wenn du es brauchst. Ich habe gewusst, dass es eines Tages geschehen wird. Mit Roni war es das Gleiche.«
    »Roni?« Gabi reckte seinen Kopf schräg über den Rand der Hängematte.
    »Roni hat seinen Anteil erhalten, als er das entsprechende Alter überschritten hatte und Geld brauchte. Was

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