Auf fremdem Land - Roman
es ihr gut gehe. Sie habe sich selbst gefunden in Tel Aviv, sei auf die Modedesignschule Shenkar gegangen, habe keine Sehnsucht nach dem Kibbuz. »Und Joav«, sagte sie, »ich glaube, er ist das Beste, was mir je passiert ist. Er hat eine Band. Wow, was ein Ding, dass wir hier sitzen und darüber reden. Es macht dir nichts aus, oder? Du hast sicher einen ganzen Haufen Freundinnen.« Sie kicherte.
Er warf einen Blick auf die Uhr, ziemlich gelangweilt, und sagte zu ihr, er müsse zu einer Runde aufbrechen, sie könne ihn begleiten, wenn sie Lust hätte. »Runde?«, fragte sie.
Er zeigte ihr seine Wohnung, seine Terrasse mit Holzdeck, und schenkte ihr noch ein Glas Wein ein, irgendwann sagte sie, sie wolle sein lustiges Bärtchen kraulen, und die nächsten zwei Stunden verbrachten sie im Bett – seit ihrer frühen Jugend hatte sie ein paar Dinge gelernt, hatte sich befreit –, bis sie auf den Wecker sah und mit zerwühltem Haar sagte: »Wow, ich muss nach Hause.« Er sah sie nicht wieder. Es berührte ihn nicht weiter.
Einige Wochen danach, zu nächtlicher Stunde, als der Druck sank, kam Baruch Schani in die Bar. Der erste Gedanke, der Roni durch den Kopf ging, war, Allah, hab Erbarmen, was ist denn mit dem passiert? Baruch vom Rindersektor, von der Kommandoeinheit, Ronis Mentor, der einige Mädchen im Betrieb zu Frauen gemacht hatte. Und jetzt – glatzköpfig, vernachlässigt, ein eigenartiger Tick im Mundwinkel – trank er mit ungesunder Zielgerichtetheit. Nicht ein Gläschen am Ende des Tages, um die Gedanken durchzulüften, sondern er trank um des Trinkens willen. Es sah so aus, als hätte er Schlimmes durchgemacht, doch Baruch wollte nicht darüber reden, er wollte nur von früher erzählen, und Roni drängte nicht, er hatte gelernt, nicht zu drängen. Wer kam, war willkommen, wer wollte, redete, und wer wollte, schwieg.
Nach ein paar Bier erzählte Baruch, wie er mit Orit aus Ronis Klasse geschlafen hatte, als sie vierzehn war und Baruch dreiundzwanzig. Das war nicht neu, Roni erinnerte sich, dass er gesehen hatte, wie Orit im Sommerlager zu Baruch in den Schlafsack geschlüpft war, doch jetzt war er neugierig, zum ersten Mal sämtliche Einzelheiten zu hören. Baruch setzte ihn in Kenntnis, dass Orit glücklich verheiratet mit zwei Kindern in Kirjat Ono war, und die Versuche, die er gemacht hatte, den Kontakt zu erneuern, einschließlich kürzlich, waren auf hartnäckigen Widerstand gestoßen. »Sie ist immer noch hübsch«, schloss er, wie um den Grund für ihre Weigerung zu erklären.
Baruch kam von Zeit zu Zeit in die Bar, sah immer gleich aus, verschluckte Wörter, trank und schwatzte über die Vergangenheit. Roni begriff nicht, was er eigentlich machte. Er murmelte etwas von einer Arbeit bei einer Versicherung, doch Roni gelang es nicht, sich vorzustellen, wie er jemandem in seinem Zustand eine Versicherung verkaufte.
Manchmal kamen alte Betriebsgenossen, die sich in der Kibbuzwohnung in der Großstadt erholten, bis diese wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage verkauft wurde. Sie redeten ständig über Tel Aviv im Vergleich zum Kibbuz – andere Welten. Manchmal kamen hübsche Mädchen daher, die erzählten, dass sie die kleinen Schwestern von Schulkameraden waren. Einmal tauchte Ezra Dudi auf, mit seinem wuchernden Bart und seinem traurigen Herzlblick. Roni liebte diese Begegnungen, so überraschend und zufällig. Doch die meisten Nächte waren einfach nur angenehme Tel Aviver Nächte und die meisten Gäste anonym, bis sie zu reden anfingen, und wurden es wieder in dem Moment, in dem sie zur Tür hinausgingen.
Eines Nachts, nach Mitternacht, betrat ein gut aussehender, muskulöser Mann in seinen Zwanzigern das Lokal, setzte sich an die Bar und bestellte einen Gin Tonic. Im Hintergrund lief »Tarzan Boy« mit dem berühmten Schrei »Oh oh oh oh …«. Roni stellte das Glas auf die Bar. Der Gast sagte: »Du erkennst mich nicht, eh?« Roni schaute ihn genauer an. Fokussierte den Blick. Die kurzgeschorene Frisur, die blitzenden Augen, das eckige Lächeln. Moment. Das eckige Lächeln. Nein, nicht das Lächeln, der eckige Kiefer. Augenblick, nein, ja, das musste er sein, das waren die Augen, klar, wieso hatte er ihn nicht sofort erkannt …
»Ejal?«
Das Lächeln stand ihm schon im Gesicht, der Kopf bewegte sich nickend hinauf und hinunter. Ejals Vater, Jona, war im Auftrag des Rasenteppichwerks mit der ganzen Familie nach Buenos Aires gereist, als Ejal fünfzehn war, und seitdem hatte man sie
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